Corinne Orlowski: Was zeichnet Schleefs Chor aus, bzw. was unterscheidet ihn von
anderen Chören? Würden Sie sagen, dass seine Art, Theater zu machen,
zukunftsweisend war oder sogar heute noch ist?
Elfriede Jelinek: Das Chorische war am Theater immer
wichtig, in der Antike entscheidend wichtig. Dafür hat man als Autor, der für
Chöre schreibt, mehr Möglichkeiten (und ich habe mir eigentlich Chöre gar nicht
vorgestellt für dieses Stück. Als ich aber gesehen habe, wie Schleef damit umgeht,
war mir klar, dass ich von Anfang an schon chorisch geschrieben hatte, weil ich ja
sehr oft mit der Auflösung der individuellen Figur in der Rhythmik des Chors
arbeite). Man kann dem Chor verschiedene Funktionen, oft rein musikalische,
zuweisen, während er in der Antike in seiner Bedeutung meist festgelegt war, als
Kommentator des Geschehens und als direkte Anrede an das Publikum zum Beispiel.
Ich spreche ja das Publikum oft selbst sehr direkt an, und zwar als ich selbst.
Bei mir ist der Chor eher das Wir, das aber wieder in seiner Bedeutung changieren
kann. Und ich verwende immer dieses „wir“, das ständig seine Bedeutung wechselt,
das ist natürlich für Chöre wie geschaffen. Schleef hat das sofort erkannt.
aus: Corinne Orlowski: Elfriede Jelinek. In: Orlowski, Corinne (Hg.): Vor dem Palast. Gespräche über Einar Schleef. Berlin 2019, S. 148-151, S. 148-149.
Über
Einar Schleef
und seine Arbeit an der Uraufführungsinszenierung von
Ein Sportstück (1998)
; über das Verbindende ihrer und
Schleefs
Kunst wie das Chorische (
Schreibverfahren
,
Theaterästhetik
), und die Hassliebe zu ihren Müttern (
Mutter
), die „Triebfeder“ ihres künstlerischen Arbeitens sei. Bewunderung von
Schleefs
„Geistes-Gegenwart“, Bedauern über die Seltenheit von Aufführungen
Schleefs
eigener Werke, sie befürchte, dass dieser „große, universell begabte Künstler einfach verschwinden könnte.“