Elfriede Jelinek im Gespräch mit Adolf-Ernst Meyer

Nachweis

auch in:

 

In diesem ausführlichen Interview geht es um ihre schriftstellerische Tätigkeit in Zusammenhang mit dem Geschlechterkampf und ihre

Schreib­ver­fah­ren

. Dabei werden fast alle ihrer bisherigen Werke besprochen (vor allem

Krank­heit oder Mo­der­ne Frau­en

,

To­ten­au­berg

,

Die Aus­ge­sperr­ten

,

wir sind lock­vö­gel ba­by!

,

Mi­cha­el

,

Die Kla­vier­spie­le­rin

,

Burg­thea­ter

,

Lust

und

Die Lieb­ha­be­rin­nen

). Auch über

Psy­cho­ana­ly­se

, Persönliches und Biographisches (

Per­son

), ihre

Mut­ter

und ihren

Va­ter

. Das zentrale Problem der Frauen (

Frau

) besteht für sie darin, „einerseits eine weibliche Identität ausbilden zu müssen und andererseits zu realisieren, dass das Sprechen einer Frau als Anmaßung angesehen wird“ und somit auch das Kunstschaffen von Frauen im

Pa­tri­ar­chat

(

Mann

) herabgewürdigt wird. Veranschaulicht wird dies am Beispiel von

Ma­rie­lui­se Fleiß­er

. Im Kontext ihres Theatertextes

Krank­heit oder Mo­der­ne Frau­en

über Vampirismus (

Vam­pir

), weibliche und männliche

Se­xua­li­tät

. Kritisch reflektiert sie den Begriff

Hei­mat

und vergleicht das Leben in Wien mit ihren Aufenthalten in der Steiermark. Am Beispiel von

To­ten­au­berg

über die Beziehung von

Mar­tin Heid­eg­ger

und

Han­nah Are­ndt

sowie deren

Phi­lo­so­phie

und über das

Ju­den­tum

,

An­ti­se­mi­tis­mus

,

Tou­ris­mus

in

Ös­ter­reich

und Faschismus. Sie skizziert die Entwicklung ihrer

Thea­ter­äs­the­tik

von den frühen Stücken bis zu den aktuellen Arbeiten fürs Theater, kritisiert die Abwesenheit von Frauen im Musikbetrieb sowie die

Frem­den­feind­lich­keit

und „Geistfeindlichkeit, die sich im Grund gegen uns Künstler und Intellektuelle richtet“ in Österreich. Ausgehend von

Burg­thea­ter

über die Karriere von

Pau­la Wes­se­ly

im

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

und der Nachkriegszeit und den Holocaust (

Ju­den­ver­nich­tung

,

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

). Weiters über den

Fe­mi­nis­mus

, Kriminalliteratur und reale Kriminalfälle,

Ma­so­chis­mus

und

Por­no­gra­fie

,

Mo­de

und Make-up.

 

Adolf-Ernst Meyer:[…] Wortwiederholung trifft Ihr Vorgehen nicht genau, denn meist wird eine subtile Wortabwandlung wiederholt.

Elfriede Jelinek: Es ist so eine Art der Kalauer-Rückführung oder Kalauerisierung, es nimmt die Sprache beim Wort.

Es ist eben kein Kalauer, weil der neue Kontext den Sinn vollkommen umdreht. […] „Die Men-schen müssen sich rentieren, bis sie ihre Rente erreicht haben.“ Fällt ihnen das zu, oder ist es das Resultat eines Suchtprozesses?

Das möchte ich selber gerne wissen. Irgendwie sind meine Ganglien offenbar so lose verdrahtet, daß ich einen ständigen Assoziationszwang habe. Wenn ich ein Wort höre, auch im Alltag, muß ich zwanghaft sofort Alliterationen, Paraphrasen, Metathesen herstellen, Silben vertauschen. Das ist übrigens eine sehr alte Technik, die schon die griechischen Grammatiker angewendet haben. Es ist also ein sehr alter Wunsch, die Sprache selbst zu zwingen, die Wahrheit zu sagen und ihren Ideologiecharakter preiszugeben. So wie Heidi Pataki, eine Kollegin, in Angrammen über Waldheim-Ansprüche immer zwei Buchstaben übrigbehalten hat, immer SA und SS. Die Sprache selbst spricht ja, und ich lasse sozusagen ihren tendenziösen Inhalt immer wieder aufbrechen. Aber dieser Assoziationszwang, hat man mir gesagt, den haben haben auch Schizophrene. Irgendwie soll man es auch biologisch verfolgen können, daß meine Synapsen loser verkabelt sind als bei anderen oder so.

aus: Meyer, Adolf-Ernst: Elfriede Jelinek im Gespräch mit Adolf-Ernst Meyer. In: Jelinek, Elfriede / Heinrich, Jutta / Meyer, Adolf-Ernst: Sturm und Zwang. Schreiben als Geschlechterkampf. Hamburg: Verlag Klein 1995, S. 7-74, S. 46-47.

 

Adolf-Ernst Meyer:Apropos Kommunismus: davon finde ich in Ihrem Werk auch nicht sehr viel. Vielleicht noch am ehesten in den „Ausgesperrten“, wo Sie so recht klassisch die drei Schichten schildern, den Arbeiter, die beiden Kleinbürger-Zwillinge und die Oberklassen-Tochter Sophie, vormals von Pachhofen.

Elfriede Jelinek: Die Namen habe ich zum Teil aus dem „Mann ohne Eigenschaften“ entlehnt.

Das ist mir entgangen.

Es ist auch nur ein kleiner literarischer Scherz, bei dem entscheidend war, daß ich mir den bewaffneten Terrorismus in der Bundesrepublik in seinen Wurzeln vorgestellt habe, Ende der fünfziger Jahre, wo schon die Weichen gelegt worden sind, wo es an der Kippe zur Genese der Jugendkultur stand, es war sozusagen eine Zeitenwende. Ich versuche immer, meine Versuchsanordnungen möglichst rein zu erhalten. Und hier konnte man das finden: Die Jugend hat halt Popmusik und Mode und das alles bekommen zu einer Zeit, wo bei den Eltern noch die Erinnerung an den Krieg und die Aufbaujahre lebendig waren.

So ein Gedanke ist am Rande ja dabei, mit Schallplatten und so...

Ja, es beginnt schon mit Rock ’n’ Roll, aber die eigentliche Popkultur beginnt erst später, mit dem ersten Auftreten der Beatles. Die Klassenstruktur-Versuchsanordnung entwickelt in den „Ausgesperrten“ diese Brisanz. Nur die Oberschicht kann natürlich souverän sein, auch in der anarchistischen Aktion, weil sie keine Angst vor Abstieg haben muß, während das Kleinbürgertum, das ja schon den Faschismus mit hervorgebracht und getragen hat und heute immer noch die herrschende Klasse ist, letztlich nur den eigenen Aufstiegsinteressen folgen will. Dieser brain drain, den der Faschismus verursacht hat, indem er die jüdische Intelligenz, aber auch die armen Junden [sic] vernichtet hat, hat das Kleinbürgertum als herrschende Klasse mit sich gebracht. An diese [sic] Klasse mit ihrer Hoffnung auf Aufstieg und der Angst vor Abstieg krankt das Deutsche bis heute.

aus: Adolf-Ernst Meyer: Elfriede Jelinek im Gespräch mit Adolf-Ernst Meyer. In: Jelinek, Elfriede / Heinrich, Jutta / Meyer, Adolf-Ernst: Sturm und Zwang. Schreiben als Geschlechterkampf. Hamburg: Klein 1995, S. 7-74, S. 20-24.

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