Harald Friedl, Hermann Peseckas:Ihre erste Buchveröffentlichung war Lyrik. Warum haben Sie seither
keine Lyrik mehr verfaßt?
Elfriede Jelinek: Es ist nicht nur so, daß ich keine
Lyrik geschrieben habe, ich habe sogar eine heftige Abneigung gegen Lyrik. Mir kommt
immer vor, daß man sehr schnell ein gutes Gedicht schreiben kann, auch ich würde es
mir zutrauen. Ich will es auch nicht ausschließen, daß ich wieder mal, wenn ich
älter bin, zur Lyrik zurückkomme, aber ich muß gestehen, daß ich im Augenblick eine
Abneigung gegen das so leicht und schnell vordergründig Gelingende an der Lyrik habe,
also eine ähnliche Position wie ich sie auch der Malerei gegenüber habe. […]
Sie haben einmal Ihre ästhetische Methode als sehr unweiblich
bezeichnet. Wie haben Sie das gemeint?
Wenn ich das gesagt habe, dann habe ich das ironisch gemeint. Ich wundere mich, daß
meine ästhetische Methode, die eine sehr radikale und auch eine sehr schwarz-weiß-malende
ist, auch eine sehr gewalttätige oft, daß diese nicht die Methode der Frauenliteratur ist.
Denn diese simple Tatsache, daß Frustration, die eine Person erleidet, in einem ganz
einfachen Vorgang sich in Aggression umwandelt, müßte die Frauen ja geradezu prädestinieren,
bösartige Literatur zu machen. Denn soviel Frustration wie die Frauen, erleidet außer den
Kindern niemand in der Gesellschaft. […]
Besteht zu Ihrer Aggressivität in der Literatur auch eine Parallele im
Alltagsleben?
Ich bin im Alltagsleben sicher der unaggressivste Mensch, den ich kenne und wundere mich,
daß die Aggressivität in meiner Literatur soviel Aggressivität in den Medien auslöst. Ich
bin selbst überrascht, wie unbeliebt ich offenbar bin und wie verschrien ich bin als kalt
und bösartig.
aus: Harald Friedl, Hermann Peseckas: Elfriede Jelinek. In: Friedl, Harald (Hg.): Die Tiefe der Tinte. Salzburg: Verlag Grauwerte im Institut für Alltagskultur 1990, S. 27-51, S. 31 und S. 42.
Ausführliches Gespräch über ihren Beruf als Schriftstellerin und ihren literarischen Werdegang. Sie bedauert, dass es für die Beurteilung von Kunst keine überprüfbaren Kriterien gäbe und dass sie keinen anderen Beruf ergriffen habe. Als wesentlichen Einfluss auf ihr schriftstellerisches Schaffen bezeichnet sie die sprachkritischen Schreibtraditionen (
Schreibtradition
) in
Österreich
(z.B. die Arbeiten der Wiener Gruppe) und skizziert die Entwicklung ihrer
Schreibverfahren
von den frühen Gedichten bis hin zu ihrem Roman
Lust
. Als Charakteristika ihrer Texte nennt sie Leidenschaftlichkeit, Witz und die Tendenz „die Täter und die Opfer beim Namen nennen“ zu wollen. Über Biographisches (
Person
) ,ihre Kindheit, ihre
Mutter
und ihren
Vater
, Kunst und Literatur von Frauen
Frau
); Kritik am österreichischen Kulturbetrieb, dem sie ein „Klima der Geistfeindlichkeit“ attestiert. Am Schreiben interessiere sie nicht die Darstellung individueller Handlungen, sondern das Exemplarische. Als Gegenpol zu ihrem eigenen Werk sieht sie die Arbeiten von
Peter Handke
. Weiters über den Faschismus in der Sprache, die Filme von Leni Riefenstahl, Kriminalliteratur,
Sexualität
und
Kapitalismus
. Kurz auch über
Die Klavierspielerin
,
Die Ausgesperrten
,
Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr
und
Lust
.