Elfriede Jelinek

Nachweis

 

Ausführliches Gespräch über ihren Beruf als Schriftstellerin und ihren literarischen Werdegang. Sie bedauert, dass es für die Beurteilung von Kunst keine überprüfbaren Kriterien gäbe und dass sie keinen anderen Beruf ergriffen habe. Als wesentlichen Einfluss auf ihr schriftstellerisches Schaffen bezeichnet sie die sprachkritischen Schreibtraditionen (

Schreib­tra­di­ti­on

) in

Ös­ter­reich

(z.B. die Arbeiten der Wiener Gruppe) und skizziert die Entwicklung ihrer

Schreib­ver­fah­ren

von den frühen Gedichten bis hin zu ihrem Roman

Lust

. Als Charakteristika ihrer Texte nennt sie Leidenschaftlichkeit, Witz und die Tendenz „die Täter und die Opfer beim Namen nennen“ zu wollen. Über Biographisches (

Per­son

) ,ihre Kindheit, ihre

Mut­ter

und ihren

Va­ter

, Kunst und Literatur von Frauen

Frau

); Kritik am österreichischen Kulturbetrieb, dem sie ein „Klima der Geistfeindlichkeit“ attestiert. Am Schreiben interessiere sie nicht die Darstellung individueller Handlungen, sondern das Exemplarische. Als Gegenpol zu ihrem eigenen Werk sieht sie die Arbeiten von

Pe­ter Hand­ke

. Weiters über den Faschismus in der Sprache, die Filme von Leni Riefenstahl, Kriminalliteratur,

Se­xua­li­tät

und

Ka­pi­ta­lis­mus

. Kurz auch über

Die Kla­vier­spie­le­rin

,

Die Aus­ge­sperr­ten

,

Oh Wild­nis, oh Schutz vor ihr

und

Lust

.

 

Harald Friedl, Hermann Peseckas:Ihre erste Buchveröffentlichung war Lyrik. Warum haben Sie seither keine Lyrik mehr verfaßt?

Elfriede Jelinek: Es ist nicht nur so, daß ich keine Lyrik geschrieben habe, ich habe sogar eine heftige Abneigung gegen Lyrik. Mir kommt immer vor, daß man sehr schnell ein gutes Gedicht schreiben kann, auch ich würde es mir zutrauen. Ich will es auch nicht ausschließen, daß ich wieder mal, wenn ich älter bin, zur Lyrik zurückkomme, aber ich muß gestehen, daß ich im Augenblick eine Abneigung gegen das so leicht und schnell vordergründig Gelingende an der Lyrik habe, also eine ähnliche Position wie ich sie auch der Malerei gegenüber habe. […]

Sie haben einmal Ihre ästhetische Methode als sehr unweiblich bezeichnet. Wie haben Sie das gemeint?

Wenn ich das gesagt habe, dann habe ich das ironisch gemeint. Ich wundere mich, daß meine ästhetische Methode, die eine sehr radikale und auch eine sehr schwarz-weiß-malende ist, auch eine sehr gewalttätige oft, daß diese nicht die Methode der Frauenliteratur ist. Denn diese simple Tatsache, daß Frustration, die eine Person erleidet, in einem ganz einfachen Vorgang sich in Aggression umwandelt, müßte die Frauen ja geradezu prädestinieren, bösartige Literatur zu machen. Denn soviel Frustration wie die Frauen, erleidet außer den Kindern niemand in der Gesellschaft. […]

Besteht zu Ihrer Aggressivität in der Literatur auch eine Parallele im Alltagsleben?

Ich bin im Alltagsleben sicher der unaggressivste Mensch, den ich kenne und wundere mich, daß die Aggressivität in meiner Literatur soviel Aggressivität in den Medien auslöst. Ich bin selbst überrascht, wie unbeliebt ich offenbar bin und wie verschrien ich bin als kalt und bösartig.

aus: Harald Friedl, Hermann Peseckas: Elfriede Jelinek. In: Friedl, Harald (Hg.): Die Tiefe der Tinte. Salzburg: Verlag Grauwerte im Institut für Alltagskultur 1990, S. 27-51, S. 31 und S. 42.