Ilka Piepgras:„Intellektuelle Leistung wertet die Frau nicht auf, sondern macht sie zu
einem geschlechtsneutralen, etwas blaustrümpfigen Wesen, dem man besser aus dem Weg geht“,
haben Sie in einem Interview 1989 gesagt. Frauen seien aus dem Glaspalast abstrakten Denkens
– etwa der Philosophie und Musik – ausgeschlossen. Gilt das auch heute, dreißig Jahre später,
noch – oder haben Frauen und Männer in der Literatur gleichgezogen? Anders gefragt: Wird die
Arbeit männlicher und weiblicher Autoren um das Jahr 2020 herum gleichberechtigt gewürdigt? […]
Elfriede Jelinek: Ich glaube nicht, dass sich seither viel geändert hat.
Das Schreiben von Frauen wird, kommt mir vor, inzwischen etwas mehr gewürdigt, bekommt mehr
Aufmerksamkeit, vielleicht hat eine Anfängerin im Schreiben heute sogar mehr Chancen als ein Mann,
einen Verlag zu finden, es schreien ja immer so viele: Wo bleiben die Frauen? Es wird die Präsenz von
Frauen geradezu eingefordert, als wären sie nicht eh immer schon da gewesen. Aber unverändert ist,
dass die großen Kulturschöpfungen vom Mann kommen, nicht von weiblichen Künstlern. Das konnten bisher nur
wenige durchbrechen, und ich glaube, das wird auch so bleiben. Die Frau hat kein Werk. Mir fehlt in der
Debatte um weibliche Kunst und Weiblichkeit im Öffentlichen immer ein einziges Wort: Verachtung.
Seltsamerweise spricht es nie jemand aus, nicht einmal Feministinnen, vielleicht weil sie es sich nicht
eingestehen wollen, doch es ist bezeichnend für das, was die Frau für ihre Arbeit bekommt, auch wenn das
eben nie ausgesprochen wird. Die Verachtung des weiblichen Werks.
aus: Ilka Piepgras: Verachtung. In: Piepgras, Ilka (Hg.): Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben. Zürich: Kein & Aber 2020, S. 135-138, S. 136-137.
Über ihren Rückzug aus der Öffentlichkeit und ihr Schreiben, das ein „einsamer Vorgang“ sei, über
Feminismus
und die
Frau
als
Künstlerin
, die für ihre Arbeit lediglich „Verachtung“ bekomme. Schreiben könne politisch (
Politik
) nichts verändern.