Dieses Buch ist kein Buch

Nachweis

 

Sie spricht über die Veröffentlichungsform des Romans (

Neid (2007/08)

) nur im

In­ter­net

und begründet die Gattungsbezeichnung Privatroman damit, dass er „nur privat erscheint, sozusagen im Selbstverlag“ und „mehr Privates in den Text einfließt als sonst“. Die titelgebende

Tod­sün­de

Neid ist im Text „der Neid derer, die nicht leben können (wie ich) auf die Lebenden“. Weiters über das Genre des Fortsetzungsromans, das Erzählen und die sterbende Stadt im Text.

 

Rose-Maria Gropp:Sie bezeichnen Ihren Text im Internet als „Privatroman“. Warum? Ist das eine Gattungsbezeichnung?

Elfriede Jelinek: Das bedeutet, dass der Roman nur privat erscheint, sozusagen im Selbstverlag. Aber auch, dass umgekehrt, mehr Privates in den Text einfließt als sonst.

Sie stellen den Privatroman ins Internet, den öffentlichsten aller möglichen Orte. Warum tun Sie das?

Das Internet ist aber eine andere Form der Öffentlichkeit, denn die Öffentlichkeit im Netz ist virtuell. Wenn alle etwas lesen können, dann kann es eben auch keiner. Ich schreibe den Text, aber gleichzeitig kann ich mich auch hinter ihm verstecken, denn er ist ja sozusagen nicht-geschrieben.

Haben Sie vor, den Roman in einer späteren Bearbeitung auch als Buch in Ihrem Verlag zu veröffentlichen?

Nein, es wird kein Buch geben. [...]

Ist es Ihre Absicht, sich in die Tradition des Fortsetzungsromans – Sue, Balzac, Dickens – einzuschreiben?

Nein, überhaupt nicht. Die Fortsetzungen haben überhaupt nichts mit Spannung und dem Lösen eines Handlungsknoten zu tun, im Gegenteil, es geht ja um Stillstand, um sterbende Städte (shrinking cities), um das Sterben im Leben, und natürlich wird auch eine Mordgeschichte angedeutet, aber nur sehr vage. Es geht um eine Verengung von Lebensraum (meinen Lebensraum, den der Hauptfigur und den der Städte, die, auf Grund industrieller Krisen vor allem in Europa im Stahlbereich, die Hälfte ihrer Einwohner verlieren), um Stillstand. Es geht zuallerletzt um Bewegung, höchstens um gestockte Bewegung von verstockten Menschen. Es wird dem überall herrschenden Aktionismus sozusagen dieser Stillstand entgegengehalten, wie – für die Katholiken – eine Monstranz den Gläubigen, wenn die Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut stattfindet.

Außerdem behalte ich mir vor, falls ich scheitere oder zu scheitern glaube, den Roman als Torso einfach so stehenzulassen, ihn nachträglich umzuschreiben oder ihn einfach aus dem Netz zu nehmen, falls ich das möchte beziehungsweise falls ich es nicht aushalte, dass er da einfach so steht und blöd aus dem Bildschirm herausglotzt.

aus: Rose-Maria Gropp: Dieses Buch ist kein Buch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.4.2007.