Schreiben und/oder Übersetzen. Ein Interview mit Elfriede Jelinek

Nachweis

 

Über ihre

Pyn­chon

-Übersetzung (

Die En­den der Pa­ra­bel

) und über Übersetzen im Allgemeinen, auch im Vergleich zu ihren eigenen

Schreib­ver­fah­ren

. Bei ihren Übersetzungen versuche sie, „den Sprachrhythmus eines Autors herüberzuretten, was natürlich von Sprache zu Sprache unterschiedlich ist“. Im Gegensatz zum Schreiben, das sie als „unglaubliches psychisches Ausgesetztsein“ beschreibt, bleibt einem beim Übersetzen „dieses Alleingelassensein mit dem Nichts“ erspart.

 

Elfriede Jelinek: Ich habe Pynchon für Rowohlt lektoriert und war sehr begeistert davon. Ich habe gesehen, daß das ein Jahrhundertwerk ist, und habe sehr darauf gedrungen, daß es übersetzt wird, und dann hat man mich gefragt: Ja, warum übersetzten Sie es eigentlich nicht selber? Ich hatte damals gerade eine Arbeit fertig und dachte mir, ich kanns ja einmal probieren. Und habe mir aber in meiner Unschuld das Schwierigste nach Joyce ausgesucht, für das mein Englisch wahrscheinlich gar nicht ausreicht, was mir voll bewußt ist, aber wahrscheinlich ist es wichtiger, ein Gefühl für die Sprache zu haben und vor allem Deutsch zu können. Aber es wär schon auch gut, wenn man besser Englisch könnte als ich. Ich habe dann beinahe drei Jahre meines Lebens ausschließlich auf diese Übersetzung verwandt. Es hat sich zu einem Horror entwickelt, weil es ein sehr enzyklopädisches Werk ist, für das ich einen Beraterstab brauchte wie der amerikanische Präsident. Und es war eine Arbeit wie im Büro. Ich habe acht bis zehn Stunden täglich am Schreibtisch gearbeitet wie eine Sekretärin, nur daß die öfter mal eine Kaffeepause machen kann. Es war die schwerste und disziplinierteste Arbeit, die ich in meinem Leben je geleistet habe. [...]

Karin Fleischanderl:Für gewöhnlich nimmt man an, daß Schriftstellern beim Übersetzen größere Freiheit zugebilligt wird als Übersetzern. Von Handke zum Beispiel weiß man, daß seine Übersetzungen semantisch nicht völlig korrekt sind. Welche Erfahrungen hast du gemacht?

Bei mir war es so, daß mich der Verlag am Schluß irgendwie torpediert hat dadurch, daß er – was ich damals nicht wußte, was aber üblich ist – einen Schlußredakteur genommen hat, der meine Fehler korrigieren sollte, womit ich ja sehr einverstanden war. Ich hatte ja auch einen native speaker bei der Hand, einen Amerikaner, der ungefähr denselben kulturellen Horizont hatte wie der Autor, und dieser sogenannte Redakteur hat dann für jeden Fehler, den er ausgebessert hat, wofür ich sehr dankbar bin, einen neuen hineingemacht, und hat sich vor allem bemüßigt gefühlt, meine Übersetzung einfach umzuschreiben. Und er war dann Co-Übersetzer am Schluß, obwohl ich die Dreckarbeit gemacht habe. Für gewöhnlich läßt man jemanden eine Rohübersetzung machen und setzt dann einen Schriftsteller dran, bei mir war es umgekehrt, die Absurdität daran war, daß er die Arbeit eines Schriftstellers als Rohübersetzung genommen hat.

aus: Karin Fleischanderl: Schreiben und/oder Übersetzen. Ein Interview mit Elfriede Jelinek . In: wespennest 73 (1988), S. 24-26, S. 24.