„Ästhetische Innovationen haben sich am Theater kaum etabliert“

Nachweis

 

Über ihre

Thea­ter­äs­the­tik

, ihre Stücke und deren Umsetzung auf der Bühne. Sie betont, dass sie die Arbeit an der Sprache, nicht aber die Theaterpraxis interessiere, ihre Figuren also „nur aus Sprache“ bestehen, und bedauert, dass „sich die Frauen am Theater noch nicht wirklich etabliert haben“ (

Frau

). Ihre Texte seien „bewußt als Partituren angelegt, aus denen sich der Regisseur herausnehmen kann, was er will“. Bei den szenischen Umsetzungen ihrer Texte sei sie an „kontroversiellen Blickpunkten“ interessiert. Auch über andere Dramatiker wie

Pe­ter Tur­ri­ni

,

Hei­ner Mül­ler

und

Bo­tho Strauß

sowie Regisseurinnen wie

Em­my Wer­ner

,

Sa­mu­el Be­cketts

theaterästhetische Innovationen und die Möglichkeiten des politischen Theaters.

 

Wolfgang Reiter: […] Wie weit hat man denn als Theaterautorin mit der Welt des Theaters überhaupt zu tun?

Elfriede Jelinek: […] Ich komme von der Sprache her. Mich interessiert an den Stücken nur das, was ich mir im Kopf vorstelle, und die Sprache, mit der ich das transportieren kann. Mich interessiert die Theaterpraxis nicht. Aber damit gehöre ich sicher zu einer Minderheit von Autoren. […]

Was interessiert Sie dann überhaupt am Theater?

Mich interessiert die Idee, die Möglichkeit, Sprache und Figuren öffentlich auszustellen, allergrößte Wirklichkeit und allergrößte Künstlichkeit zu vereinen. Was leider nur allzuselten passiert. Meine Figuren treten nicht psychologisch differenziert miteinander in Kontakt, sie sind nicht als „lebende“ Menschen gedacht, sondern treten als überdimensionale Sprachmaschinen auf. Sie sprechen immer, und sie sprechen immer alles aus. Sie brüllen ständig Wahrheiten aus sich heraus, die eine psychologisch richtig gestaltete Figur niemals so äußern würde. […]

Ich bin kein Triebtäter am Theater. Ich kümmere mich auch kaum um die dramaturgischen Gesetze. Für mich bestehen die Figuren nur aus Sprache. Solange sie sprechen, sind sie da, und wenn sie nicht sprechen, sind sie für mich verschwunden. So kann es bei mir zum Beispiel durchaus passieren, daß ich eine Figur mal vergesse, die dann auf der Bühne sitzt und nicht weiß, was sie tut.

aus: Wolfgang Reiter: „Ästhetische Innovationen haben sich am Theater kaum etabliert“. In: Reiter, Wolfgang: Wiener Theatergespräche. Wien: Falter Verlag 1993, S. 15-27, S. 15 und S. 22-24.