News:Sie behandeln in jüngster Zeit ausschließlich tagesaktuelle Themen, die eigentlich ein Ablaufdatum haben müssten, aber weit über den Anlass hinauswirken. Wie machen Sie das, ohne Verkünderpathos das kreatürliche Leid von Flüchtlingen zu formulieren?
Elfriede Jelinek: Das Dilemma ist, daß man im Grunde dazu nichts sagen kann, aber etwas sagen muß. Jede Annäherung an die Flüchtlinge ist schon eine Anmaßung (mit Ausnahme einer politischen Analyse, zu der ich nicht imstande bin, deshalb kann ich auch nicht Fragen zu Kirchenasyl und ähnlichem beantworten). Die Gefahr besteht außerdem, daß man herab-lassend wird oder didaktisch. Ich habe versucht, dem zu entgehen, indem ich das Äußerste, das ich mir ästhetisch erarbeitet habe, in einer Art unmöglichen Sprache (denn so spricht ja niemand, und wer spricht da überhaupt? Das wird ja immer gefragt), die nicht der Kommunikation dient, ich weiß ja nicht, wie Menschen miteinander sprechen, jemanden in den Mund lege, von dem ich nicht weiß, wer er ist. Ich kann es auch nicht wissen. Einer oder alle oder viele oder wenige. Jedenfalls habe ich die Schutzflehenden des Aischylos als Rhythmusgeber verwendet, um die von dieser Gesellschaft zumeist Verachteten sozusagen in die Höhe zu he-ben, in die Höhe der antiken politischen Dichtung. Allein hätte ich das nicht gekonnt.
aus: N. N.: „Die Verachteten in die Höhe heben“. In: News, 14.3.2015.
Kurzes Interview darüber, in welcher Form es ihr möglich ist, in
Die Schutzbefohlenen
über das Leid von Flüchtlingen (
Flucht
) zu schreiben. Sie sieht die Gefahr, herablassend oder didaktisch zu werden, und will dieser Gefahr mittels einer „Art unmöglichen Sprache“ entgehen. Mit
Aischylos’
Die Schutzflehenden (
Antike
) versuche sie, die Flüchtlinge „in die Höhe der antiken politischen Dichtung“ zu heben.