Sabine Perthold:Es geht also im neuen Stück wieder um Sexualität im weitesten Sinn?
Elfriede Jelinek: Ich würde sagen, um [...] Körperkonsum, um den Genuß ohne Reue. Als Moralistin bin ich der Meinung, daß angesichts der Zustände der Welt ein uneingeschränkter Genuß ohne Reue nicht mehr möglich sein darf. Oft wird behauptet, das sei viktorianische Prüderie oder altmodischer Keuschheitswahn – das muß ich aushalten. Wir werden ja sehen, wer recht hat. [...]
Worauf bezieht sich nun diese Komödie?
Geschrieben habe ich den Text vor zwei Jahren – ganz unter dem frischen Eindruck des Öffnens der Grenze, dieser Desorientierung, die sich überall abzeichnete. Raststätte oder Sie machens alle ist mein erstes post-sozialistisches Stück. Nach dem Wegfall der Blöcke ist nichts mehr da, worauf man sich im Denken anlehnen könnte. Es läßt sich nicht leugnen, daß wir uns wohlig eingerichtet hatten in diesem Dualismus. Die daraus entstehende Determiniertheit war eine Denkhilfe. Der Wegfall der Grenzen hat nun den Schrecken der Freiheit evoziert. Freiheit – wenn sie nicht moralisch unterfüttert wird – hat die allerschrecklichsten Auswirkungen.
aus: Sabine Perthold: Sprache sehen. In: Bühne 11/1994, S. 24-26, S. 25-26.
In Bezug auf
Raststätte
über die Konsumation von Lust (
Sexualität
), den Sieg des
Kapitalismus
und dessen Auswirkungen auf die
Gesellschaft
. Im Gegensatz zu ihrem Roman
Lust
zeige sie in
Raststätte
„Frauen und Männer gleichermaßen als erotische Subjekte“ (
Frau
,
Mann
,
Sexualität
) und die Frau nicht nur „als zu Begehrende, sondern als aktiv Begehrende“. Am Theater interessiere sie, dass man dort „die Sprache sehen kann, daß die Sprache ein Gesicht bekommt“.