Alles ist ein Spiel um den blutigen Ernst. Ein Gespräch mit der österreichischen Schriftstellerin über Theater, Politik und blutige Pornographie

Nachweis

  • Be­cker, Pe­ter von

    :

    Alles ist ein Spiel um den blutigen Ernst. Ein Gespräch mit der österreichischen Schriftstellerin über Theater, Politik und blutige Pornographie. In: Der Tagesspiegel,

    20.5.1998

    .

 

Über ihre

Thea­ter­äs­the­tik

,

Ein Sport­stück

und den Hass auf das Phänomen

Sport

, den sie mit (männlicher)

Ge­walt

(

Mann

) und

Krieg

assoziiert. Auch über die politische Situation (

Po­li­tik

) in

Ös­ter­reich

und

Deutsch­land

.

 

Peter von Becker:In Ihrem neuen „Sportstück“, das in Einar Schleefs Burgtheater-Inszenierung als heilig-unheiliges Monster dieser Saison beim Berliner Theatertreffen gastiert, kehren Sie zum antiken Chorus zurück und entwerfen riesige monologische Redepartien.

Elfriede Jelinek: Es geht darum, daß der Sport als Organisationsform der größten Banalität auf das Höchste trifft, das es gibt: auf die Form der antiken Tragödie. Im Zusammenprall der größtmöglichen Gegensätze wird durch das Paradoxe hindurch auch wieder etwas Persönliches und Familiäres sichtbar. Das hat wohl auch Schleef angeregt; zumal es hier noch das Mutter-Opfer gibt, ein Mütter-Schlachten: durch mich als Autorin, durch ihn als Regisseur. [...]

Meinten Sie mit Schleefs „Mutterschlachten“ auch die Opferung der Autorin als Mutter des Stücks?

Nein (lacht), er hat aber gleichfalls eine komplizierte Mutter-Bindung. Darüber haben wir nie geredet, aber er hat es in seinem Roman „Die Mutter“ erzählt. Das ist gleichfalls ein Abstraktionsvorgang, so wie ich als Opfer einer Mutter mit ihr hier den Vatermord inszeniere: nochmals ein Sakrileg und eine fast parodistische Gegensetzung. Alles ist ein Spiel um den blutigen Ernst. [...]

Die These Ihres Stückes lautet verkürzt: Sport ist Mord.

Das durchzieht alle meine Bücher: der Haß auf den Sport. Dabei geht’s nicht um den Sport an sich, sondern um Massenphänomene und Gewalt. Kein junger Mann kann in den Krieg ziehen, der vorher nicht Sport getrieben hat. Es geht um die Vergötzung von Körperkräften und die Verachtung intellektueller oder künstlerischer Tätigkeit. Ich habe auch ganz reale Angst vor Sportfanatikern, vor Menschen- und Männermassen. Außerdem haben wir in Österreich eine Rechte, die sich betont sportlich gibt, mit dem derzeit wohl einzigen charismatischen rechten Führer auf der Welt – der sein gebräuntes, sportlich gestähltes Auftreten sehr bewußt kultiviert.

aus: Peter van Becker: „Alles ist ein Spiel um den blutigen Ernst.“ Ein Gespräch mit der österreichischen Schriftstellerin über Theater, Politik und blutige Pornographie. In: Der Tagesspiegel, 20.5.1998.