Abraumhalde

Programmheft zur Uraufführung am Thalia Theater Hamburg, 2009

Abdrucke

Erstveröffentlichung:

Aufführungen

 

Abraumhalde war der erste von Jelinek als Sekundärdrama bezeichnete Theatertext. Damit einher geht die Aufforderung, dass der Text nur in Kombination mit dem jeweiligen „Primärdrama“, auf das es sich bezieht – in diesem Fall

Gott­hold Ephra­im Les­sings

Nathan der Weise –, aufgeführt werden darf. In der Regieanweisung beschreibt die Autorin den Text als eine „ Geräuschtapete “ und schlägt vor, ihn „ beinahe unhörbar, wie eine Litanei als Hintergrund “ zu einer Aufführung von

Les­sings

Nathan der Weise zu verwenden. In Hinblick auf die Möglichkeiten der szenischen Umsetzung verweist sie auf die Ästhetik der Aktionen

Paul Mc­Car­thys

. Der Text ist durch Leerzeilen und Absätze gegliedert und nicht auf SprecherInnen aufgeteilt.

Jelinek bezieht sich im Text auf den Inzestfall von Amstetten (

Ös­ter­reich

), der 2008 aufgeklärt wurde und ergab, dass der Angeklagte

Jo­sef Fritzl

seine Tochter 24 Jahre lang im Keller seines Hauses gefangen gehalten, vergewaltigt und mit ihr sieben Kinder gezeugt hatte (

Va­ter

,

Fa­mi­lie

,

Pa­tri­ar­chat

,

Ge­walt

). Neben Bezügen zu

Les­sings

Drama Nathan der Weise (durch verarbeitete Zitate, das Motiv des brennenden Hauses, der Ringparabel und das thematisierte Spannungsverhältnis zwischen

Ju­den­tum

, Christentum und

Is­lam

), verarbeitet die Autorin auch Passagen aus der Antigone (

An­ti­ke

) von

So­pho­kles

(u.a. zum Motiv der in einem unterirdischen Raum gefangenen

Frau

, das mit dem Fall

Fritzl

verschränkt wird).

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

Les­sing

: ‚Nathan der Weise‘

So­pho­kles

: Antigone

Jo­chen von Lang

: Das

Eich­mann

Protokoll (Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre)

Her­bert Mar­cu­se

: Repressive Toleranz

Die Bergpredigt (Matthäusevangelium, Kapitel 5-7)“

Abraumhalde wurde erstmals in

Ni­co­las Ste­manns

Inszenierung von

Les­sings

Nathan der Weise am Hamburger

Tha­lia Thea­ter

integriert.

Ste­mann

verwendete nicht den gesamten Text, sondern nur Teile, und zwar punktuell, um u.a. zu zeigen, dass die Utopie der friedlich vereinten Religionen in der Realität nicht möglich ist.

 

Für den Theaterbetrieb möchte ich aber, als neue Geschäftsidee, vermehrt auch Sekundärdramen anbieten, die kläffend neben den Klassikern herlaufen (oder als Tapeten hinter ihnen, beim Nathan probiere ich das jetzt schon mal aus, aber ich nehme auch Aufträge für andre Dramen an und schreibe dann jederzeit gern ein Sekundärdrama dazu. Nur bei Shakespeare mache ich das grundsätzlich nicht. Aber alle andren Aufträge nehme ich dankend an), also habe ich als Künstlerin vielleicht eine neue Strategie gefunden, diesmal auf der sicheren Seite, denn die Klassiker schaut man sich schließlich immer an und wird man sich immer anschauen, und ich kann sie dann ja aufnorden, blondieren oder ihnen eine Dauerwelle verpassen.

aus: Elfriede Jelinek: Reichhaltiger Angebotskatalog . In: Theater heute 6/2009, S. 16.

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