Davon, daß man auf sitzende Vögel nicht schießt (On Not Shooting Sitting Birds, 1976)

Cover des Sammelbands, 1973

Abdrucke

Erstdruck:

 

Die karibische Schriftstellerin

Jean Rhys

wurde 1890 auf Dominica geboren und starb 1979 in London. Von ihr stammen Romane wie Wide Sargasso Sea (1966), Voyage in the Dark (1934) oder Good Morning, Midnight (1939). Diese Erzählung stammt aus der 1976 publizierten Sammlung von Kurzgeschichten Sleep It Off Lady .

Jelineks Übersetzung von Jean Rhysʼ Prosatext On Not Shooting Sitting Birds erschien 1982 in dem von

In­ke

und

Pe­ter Schult­ze-Kraft

herausgegebenen Band

Jo­se­fi­na, be­dien die Her­ren

.

Jelineks Übersetzung von Jean Rhysʼ Prosatext On Not Shooting Sitting Birds erschien 1982 in dem von

In­ke

und

Pe­ter Schult­ze-Kraft

herausgegebenen Band

Jo­se­fi­na, be­dien die Her­ren

.

Der Band ist eine Anthologie von Texten, deren gemeinsames Thema die Lebenssituation von Frauen (

Frau

) in Lateinamerika ist. Jelinek übersetzte den Text weitgehend wörtlich und behielt auch die syntaktischen Konstruktionen des Originals bei. Die weibliche Ich-Erzählerin berichtet von einem misslungenen Rendezvous. Die

Frau

versucht, den

Mann

beim Diner mit einer erfundenen Jagdgeschichte aus ihrer Kindheit zu beeindrucken. Dieser reagiert empört darauf, dass ihre Brüder auf sitzende Vögel geschossen hätten.

 

Ich erzählte und erzählte und glaubte schon beinahe selber, was ich sagte, als er mich unterbrach: „Wollen Sie damit andeuten, daß Ihre Brüder auf sitzende Vögel geschossen haben?“ Seine Stimme war kalt und empört.

Ich starrte ihn an. Wie konnte ich diesen Mann überzeugen, daß ich nicht die leiseste Ahnung hatte, ob meine Brüder auf sitzende Vögel schossen oder nicht? Wie konnte ich jetzt noch erklären, was wirklich geschehen war? Wenn ich es tat, würde er mich für eine Lügnerin halten. Oder für einen Feigling, und damit hätte er recht, denn ich hatte vor vielen Dingen Angst, nicht nur vor dem Knallen einer Büchse. Doch zu diesem Zeitpunkt war ich mir nicht mehr sicher, ob ich ihn überhaupt mochte, und so schwieg ich und fühlte, wie mein Gesicht so steif und abwesend wurde wie seins. Es war ein äußerst unbehagliches Diner. Wir vermieden es beide, auf das Bett im Nebenzimmer zu blicken, und als der letzte Bissen geschluckt war, verkündete er, daß er mich nun nach Hause bringen werde. Die Art, wie er das sagte, wunderte mich. Dann sagte ich mir, vielleicht will er nur wissen, wo ich wohne. Keiner von uns sprach im Taxi, außer um zu sagen: „Tja, dann gute Nacht.“ „Gute Nacht.“

aus: Jean Rhys: Davon, daß man auf sitzende Vögel nicht schießt . Ü: Elfriede Jelinek. In: Schultze-Kraft, Peter und Inke (Hg.): Josefina, bedien die Herren. Geschichten von Frauen und Männern aus Lateinamerika. Frank-furt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1982, S. 92-94, S. 94.

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