Natürlich ist Der Jude von Malta ein antisemitisches Stück,
es kommen alle antisemitischen Stereotypen darin vor, mit einem Antisemitismus,
der sozusagen seine Unschuld auch noch, in aller Unschuld, behauptet.
Es ist sozusagen ein selbstverständlicher Antisemitismus. Aber gleichzeitig
entlarvt es auch den Antisemitismus, und darin wird es interessant. Denn ausgelöst wird
die Raserei des Barabas ja von den unerhörten Schandtaten von Christen. Und wie von einem
Spiegel werden diese Untaten stets auf denjenigen zurückgeworfen, der sie auslöst und
damit auch gleichzeitig eine neue „Runde“ in der Eskalation von Gewalt auslöst
(das ist natürlich paradigmatisch für die politische Situation derzeit). Bis sich das in
einer aberwitzigen Spirale von Enteignung, Brutalität, Diebstahl und Mord so lange dreht,
bis (und das ist fast schlimmer als wenn alle tot wären) der status quo ante wieder erreicht
ist und die Macht sozusagen wieder an ihrem Platz ist, bei den Kreuzrittern und beim siegreichen
Gouverneur, während der Jude wie in einem Brennspiegel, in dem sich der Haß gegen ihn fokussiert
hat, verbrennt (im siedenden Öl gekocht wird), man könnte auch sagen: sich in der Grube, die er
andren gegraben hat, auflöst und verschwindet. Der Jude muß sozusagen verschwinden, damit
er die Gemeinheit der Christen nicht mehr spiegeln kann. Damit die Christen nicht mehr sich
selbst anschauen müssen, und die Christen sind hier ja Kreuzritter, Imperialisten, Völkermörder,
das darf man nicht vergessen. [...] Während aber diese Kreuzrittergesellschaft einfach ihre
Verbrechen begeht, hat der Jude Barabas, und darin liegt, wie ich finde, die Modernität dieser
Figur, das Geld als eine Art Vermenschlichungsmaschine entdeckt. Man könnte sagen: der abstrakte
Tausch paradoxerweise als das einzige zivilisatorische Element einer Raubritter-Gesellschaft.
Als Ersatz für die dunklen Primärtriebe und atavistischen Greuel. Geld als Objektivierungsmechanismus.
aus: Elfriede Jelinek: „Der Jude muß verschwinden“ . In: Bühne 12/2001, S. 16.
Über
Christopher Marlowes
Theaterstück
Der Jude von Malta
(2001), das von ihr zusammen mit
Karin Rausch
für das
Wiener Burgtheater
übersetzt wurde. Über den
Antisemitismus
im Stück und in dem Zusammenhang auch über die Verknüpfung des Antisemitismus im
Nationalsozialismus
mit Christentum und
Katholizismus
in
Österreich
. Weiters über Barabas, der für sie in seiner Definition über Geld (
Kapitalismus
) eine moderne Figur sei.