Musik macht einen fremd, obwohl ja alle dauernd Musik hören, der eine dies, der andre das, man kann sich ja kaum vor ihr retten, sie ertönt einfach überall, manchmal fast nur noch als Wummern von Bässen, und trotzdem: wenn man sie selbst erzeugt, die Musik, wird man dabei, auch für sich, gleichzeitig etwas Fremdes, nicht so fremd, wie die Komponisten es gewesen sind, aber doch, denn ihren Rufen folgt man schließlich, und wohin sie einen locken, das sollte man wissen, wenn man ordentlich geübt hat (o je!), aber wenn wir dort angelangt sind, dann bricht eben auf einmal dieser Boden unter uns ganz weg, wir sind selber ganz weg, und wir wissen, daß wir nicht mehr gemütlich unter uns sind, sondern dass das, was unter uns ist, sich bewegt – wie die Zeit. Keine Rettung. Danke für diese Erfahrung an Leopold Marksteiner.
aus: Elfriede Jelinek: Die Zeit flieht. Für meinen Orgellehrer Leopold Marksteiner. In: Kraut, Peter / Ruprecht, Hans / Wyss, Ruedi (Hg.): Taktlos Musiklesebuch. Bern: Engeler 2007, S. 111-114, S. 113-114.
Beitrag für die Festschrift aus Anlass des 70. Geburtstags von
Leopold Marksteiner
, Jelineks Orgellehrer am Wiener Konservatorium. Erinnerung an das Orgelstudium bei ihm (
Person
). Die Beschäftigung mit
Musik
und damit sein Unterricht haben ihr einen Ort geboten, an dem man der Schnelligkeit der Welt „eine Hörbarkeit des Zeitablaufs“ entgegensetzen konnte. Erwähnt wird auch ein Konzert im Mozartsaal des
Wiener Konzerthauses,
bei dem sie
Olivier Messiaens
Les yeux dans les rues in einem „Affentempo“ begann und dieses Tempo dann bis zum Schluss durchhalten musste.