Größte annehmbare Ungenauigkeit

Abdrucke

Je­li­nek, El­frie­de

:

Größte annehmbare Ungenauigkeit. In: Die Presse (Spectrum),

29.3.2008

.

 

Aus Anlass von

Ka­ra­jans

100. Geburtstag im Rahmen einer Spectrum -Umfrage;

Ka­ra­jan

habe sich selbst an die Stelle der Musik gesetzt. Thematisierung von

Ka­ra­jans

NS-Vergangenheit (

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

,

Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung

), Kritik an der „Vergötzung“ seiner Künstlerpersönlichkeit (

Künst­ler

).

 

Er lässt, im Namen seiner legendären Genauigkeit, niemanden einen Platz. Er ist gleichzeitig zum Zähler geworden, den jeder benennt, zum ersten Interpreten, der allein schon alles zählt, indem er alles allein macht – in der Oper sogar die Inszenierung noch – und daher auch: alles ist. Sogar in der NSDAP ist er zweimal eingetreten, als hätte es ihn ohnedies mehr als einmal geben müssen und als hätte er sich auch als mehr als einer gefühlt.

Das führt aber, finde ich, gerade auf dem Feld der Interpretation paradoxerweise zur größten annehmbaren Ungenauigkeit (anstatt Genauigkeit). Durch die interpretatorische Vergötzung Karajans (es sind immer große Dirigenten und Virtuosen vergötzt worden, aber Karajans Vergötzung ist von anderer Art, es ist, als ob sich zum ersten Mal bei einem Künstler eine unkritische Masse zusammengeballt hätte. […]).

aus: Elfriede Jelinek: Größte annehmbare Ungenauigkeit. In: Die Presse (Spectrum), 29.3.2008.

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