In der „Ballade von den drei wichtigen Männern und dem Personenkreis um sie herum“
(wobei der Personenkreis um sie herum, wie schon der Titel andeutet, das schmückende Beiwerk darstellt,
das Kleeblatt, das dem geschlachteten Schwein ins Maul gesteckt wird) sind die Geschlechterrollen gemäß
dem guten alten Klischee verteilt. Die Männer sind kühne Eroberer, geniale Künstler oder animalische Naturburschen.
Der Personenkreis um sie herum besteht aus Frauen, und die sind entweder sinnlich, häuslich oder sonst auch nicht viel.
So klischeehaft diese Rollen auch anmuten, wie sehr wir uns auch gegen sie wehren mögen (und so viele Stimmen
auch immer wieder aus dem Chor herausbrüllen, es habe sich alles inzwischen geändert, die Rollen seien längst
neu verteilt, der Weg führe in eine neue Androgynität und so fort), so eifrig arbeitet eine ganze Industrie daran,
diese Rollen zu verewigen, festzuschreiben, um sie, und damit uns selbst, endlos ausbeuten zu können.
Die Körper dienen nicht dazu, sich aneinander zu befriedigen, nein, die Körper sollen, mit dem Ideal der Schönheit
in der Werbung konfrontiert, nicht einander lieben, sondern Sachen einkaufen, mit deren Hilfe sie ihre Rolle noch
viel besser spielen und sich selbst noch viel besser verkaufen können. [...]
Und wie die Rollen festgelegt sind,
so sind es auch die Klischees, in denen sie sich äußern, vom Schulbuch bis zur Liebesschmonzette in der Fernsehserie.
Was beim Mann Durchsetzungsvermögen ist, ist bei der Frau schrille Hysterie. Erhebt die Frau ihre Stimme, um gehört zu werden,
muß sie sie hinaufschrauben, man nennt das dann Gekeife.
Ich habe nun untersucht, was geschieht, wenn die männlichen und weiblichen
Schauspieler ihre Texte tauschen, und schließlich, in letzter Konsequenz, wenn sie ihre Rollen tauschen, wobei ganz klar ist,
daß Rolle und Text nicht eins sind, nicht identisch miteinander sind, nicht zusammenfallen. Wie klingt derselbe Text,
gesprochen von einem Schauspieler, einer Schauspielerin des jeweils anderen Geschlechts?
Vielleicht wollen Sie sich das einmal anhören?!
aus: Elfriede Jelinek: Vorspruch zum Hörspiel „Für den Funk dramatisierte Ballade von drei wichtigen Männern sowie dem Personenkreis um sie herum.“ Typoskript, SDR 1990.
Drei Männer, der Pilot Charles Lindbergh, ein berühmter Dirigent und Tarzan, und ihre Frauen sind die Figuren des Hörspiels. In parallel ablaufenden Szenen werden traditionelle patriarchale Rollenbilder (
Patriarchat
) und stereotype Vorstellungen von Beziehungen zwischen
Frau
und
Mann
problematisiert. Entdeckergeist, Abenteuerlust, Karriere, künstlerisches Genie (
Künstler
) und
Sexualität
sind die von den Männern beherrschten Domänen, während die Frauen anfangs auf häusliche Fürsorglichkeit reduziert sind und sich den Männern unterordnen. In kleinen Schritten werden jedoch die Schwächen der nur scheinbar heldenhaften Männer demonstriert, bis Frauen und Männer ihre Stimmen tauschen – und damit auch die ihnen zugewiesenen Geschlechterrollen. Die patriarchalen Klischees und Machtpositionen werden durch den stimmlichen Rollentausch aufgebrochen und ad absurdum geführt.
Zwischen den einzelnen Dialogsequenzen werden verschiedene Musiknummern (u.a. aus Tschaikowskys Ballett Schwanensee ), Werbespots und Übungssätze aus Schulbüchern unter dem Titel Auf dem Bauernhofe eingespielt.