Gesprochen und beglaubigt

Abdrucke

auch in:

 

Dankesrede zur Verleihung des

Mül­hei­mer Dra­ma­ti­ker­prei­ses

2009; bei der Preisverleihung in Mülheim am 14.6.2009 wurde die Dankesrede, von Jelinek gelesen, per Video eingespielt; über das Sprechen der BotInnen in ihrem Theatertext

Rech­nitz (Der Wür­ge­en­gel)

(2008), für den sie den Preis erhielt (

Thea­ter­äs­the­tik

). Bei der Preisverleihung wurde auch Jelineks Text

An der Zu­kunft hän­gen, an der Zu­kunft dran­hän­gen, et­was an die Zu­kunft dran­hän­gen und ei­nen Hän­ger an­nä­hen. Frau­en­ar­beit halt

(2009) vorgetragen.

 

Meine Boten stehen nie außerhalb, sie machen die Geschichte, von der sie berichten, und daher ist auch die Versuchung groß, zu sagen, sie hätten das alles sowieso nur „erfunden“. Sie machen als sprechende Subjekte aus der Geschichte ein Objekt, und das Objekt macht wiederum sie. Das Objekt erschafft sich seine Boten selbst. Die Geschichte hat diese Boten, die von den Ereignissen berichten, von denen man weder sprechen noch schweigen kann, erfunden. Ohne die Geschichte gäbe es die Boten nicht. Ohne Boten, ohne ihr unaufhörliches Sprechen, denn sie SIND ja selber nichts als Sprechen (was aber das meiste ist, das es gibt), gäbe es die Geschichte nicht. Die Mörder von Rechnitz hätten es gern gehabt, dass es keine Boten mehr gegeben hätte, sie haben das Ihre dazu getan, dass niemand überlebt, dass ihnen niemand auskommt. Aber die Boten kommen aus dem Nichts, sie wären so oder so gekommen, es gibt immer Boten, auch wenn es keine Zeugen gibt, und es ist alles und nichts zugleich, was sie im Sprechen aufrechterhalten, als ob nie etwas andres als das hätte gewesen sein können.

aus: Elfriede Jelinek: Gesprochen und beglaubigt . In: Theater heute. Jahrbuch 2009, S. 118-120, S. 119-120.

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Essayistische Texte, Reden und Statements
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