Ich schlage sozusagen mit der Axt drein

TheaterZeitSchrift 7/1984

Abdrucke

auch in:

 

Über ihre literarische Technik (

Schreib­ver­fah­ren

,

Thea­ter­äs­the­tik

) unter Bezugnahme auf ihre Theatertexte

Was ge­schah, nach­dem No­ra ih­ren Mann ver­las­sen hat­te

(1979),

Cla­ra S.

(1982) und

Burg­thea­ter

(1985). Sie wolle keine psychologisch agierenden Personen auf die Bühne stellen, sondern Typen darstellen. Sie arbeite mit Montageverfahren und erziele verschiedene Sprachebenen, indem sie ihren Figuren fremde Aussagen in den Mund lege.

 

Meine Arbeitsweise funktioniert, wenn es mir gelingt, die Sprache zum Sprechen zu bringen, durch Montage von Sätzen, die verschiedene Sprachen miteinander konfrontiert, aber auch durch Veränderung von Worten oder Buchstaben, die im Idiom verhüllte Aussagen entlarvt. Auf der Bühne interessieren mich nicht Charaktere mit dem Nimbus von „Persönlichkeit“, sondern Prototypen. Mein Verfahren bleibt sichtbar und durchsichtig. Weder Autor noch Personen sind Geheimnisträger. Die Figuren auf der Bühne stehen für etwas, sie sind für mich Werkzeuge, mit denen ich meine Aussage machen will, denn ich glaube an das Theater als ein politisches Medium.

aus: Elfriede Jelinek: Ich schlage sozusagen mit der Axt drein . In: TheaterZeitSchrift 7/1984, S. 14-16, S. 16.

 

Was mein letztes Stück, „Burgtheater“, betrifft, so habe ich lange am Schneidetisch Kitschfilme, aber auch reine Propagandafilme („Heimkehr“) der Nazi-Ära angeschaut und Dialoge und Monologe mitgeschrieben. Es ging mir darum, mit den Mitteln der Sprache zu zeigen, wie wenig sich die Propagandasprache der Blut-und-Boden-Mythologie in der Nazikunst vom Kitsch der Heimatfilmsprache in den fünfziger Jahren, einer Zeit der Restauration, unterscheidet. Dieser Sumpf aus Liebe, Patriotismus, Deutschtümelei, Festlegung der Frau auf die Dienerin, Mutter, Gebärerin und tapfere Gefährtin von Helden, auf die stets sich selbst Verneinende, dem Mann Gehorchende – ein Matsch, der nach dem Krieg nie richtig trockengelegt worden ist, war mein Material, das ich zu einer Art Kunstsprache zusammengefügt habe, weil es in seiner Kitschigkeit und Verlogenheit nicht mehr zu überbieten ist. Diese Sprache ist nicht parodierbar. Sie „spricht für sich selbst“, und daher mußte ich nicht mehr sprechen. Ich arbeitete gewissermaßen linguistisch am Text, indem ich die Wörter, die schleimig und verwaschen die faschistische Ideologie transportierten, zu Wortneuschöpfungen umwandelte, Neologismen, die die ganze Brutalität des Faschismus enthüllen, ohne daß das einzelne Wort im Zusammenhang etwas bedeuten muß, zum Beispiel „Saubertöte“ statt „Zauberflöte“, „Sauschlitzerin“ statt „Schauspielerin“. Das Stück ist an realen Personen orientiert, die in der Zeit des Faschismus berühmte Schauspieler waren (und es heute genauso wären), aber nicht die Personen als solche sind mir wichtig gewesen, sondern das, wofür sie standen, was sie repräsentierten, wofür sie sich zum Werkzeug machten. Ähnlich wie im „Mephisto“ von Klaus Mann, in dem auch Gründgens als Person weniger wichtig ist als die Figur eines Aufsteigers in der Nazizeit, die eben bestimmte Züge eines bestimmten Menschen trägt.

aus: Elfriede Jelinek: Ich schlage sozusagen mit der Axt drein . In: TheaterZeitSchrift 7 (1984), S. 14-16, S. 15-16.

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