Für mich waren die in Claras Aufzeichnungen so reichlich vorhandenen Beschwörungen,
daß noch keine Frau selbstschöpferisch tätig zu sein vermochte (warum
also gerade sie, Clara Schumann?), immer nur verzweifelte Schutzbehauptungen
vor dem Postulat der eigenen schöpferischen Phantasie, die, wie ein tauber Ast,
zum Absterben verurteilt war. Noch ehe darauf etwas wachsen konnte. Clara muß,
um nicht selbst wahnsinnig werden zu müssen ob ihrer versäumten Möglichkeiten,
all die Wertvorstellungen der von Männern gemachten Kultur übernehmen, vor
allen anderen den obersten Fetisch der bürgerlichen Kunst: die Originalität, die
Kühnheit, das Neue, das nur der Mann vermag. Im Stück wird Clara zur Mörderin
an ihrem Mann in dem Augenblick, da dieser, in der fröhlichen Freiheit des Wahnsinns,
sich über diese ehernen Regeln hinwegsetzt und ein fremdes Werk für sein
eigenes ausgibt. Zur vielleicht seltsam anmutenden Konstellation der Personen in
diesem Stück: Mir war rasch klar, daß ich, um die komplizierten Zusammenhänge
von männlich dominierter Kultur, Sexualität, Macht und Ausbeutung – wieder sexueller
wie ökonomischer – exemplarisch (und nur das Exemplarische reizt mich)
darzustellen, eine Konstellation von Figuren finden müsse, die sozusagen als Prototypen
all dieser Mechanismen repräsentieren. Der Gipfel ökonomischer, kultureller
wie, stets damit verbunden, sexueller Macht wird vom faschistischen Dichter
Gabriele D’Annunzio, einem berühmten Frauenkonsumenten, en gros und en détail,
verkörpert. Natürlich muß zu diesem Zweck eine Art Zeitsprung stattfinden,
denn zum Zeitpunkt der Handlung war Robert Schumann weit über ein halbes,
Clara fast ein halbes Jahrhundert tot. Um die Sonne D’Annunzio, der eine gelungene
Mischung aus Reichtum, Ruhm und Geilheit darstellt, kreisen als Trabanten
die Frauenplaneten, die einander entweder seinen körperlichen Besitz neiden, seine
ihm hörigen Komplizinnen werden (weil von ihm in jeder Weise abhängig) oder
aber von ihm etwas bekommen wollen (Geld, Protektion etc.), was sie wieder nur
durch Körperhingabe erlangen können. Die Damen stellen sich dem Meisterdichter
als tüchtige und sensible Künstlerinnen vor, und der Dichter will nichts als sie
körperlich konsumieren. [...]
Clara, die Priesterin der Kunst ihres Mannes, übt zur Revanche auf ihn, der aus
ihr einen „häuslich-gemütlichen“ lebenden Brutofen gemacht hat, mit der Zeit einen
immer unmenschlicher werdenden Druck zur genialen Produktion aus. Sie hat
ihre Talente geopfert, nun will sie auch etwas dafür haben. Nur als Genie ist ihr
Robert real, nur in dieser Rolle vermag sie ihn anzunehmen. Nur für ein Genie ist
sie freiwillig in den Schatten der Hausfrau, Mutter und rein darstellenden Künstlerin
zurückgetreten. Und so platzt Roberts Schöpferkopf auseinander, entzieht sich
dem Postulat des beständigen Schaffens und löst durch dieses Sich-Entziehen, das
ja Claras Opfer im nachhinein sinnlos, ja lächerlich macht, die endgültige letzte Katastrophe aus.
aus: Elfriede Jelinek: Über Clara S. In: Programmheft der Bühnen der Stadt Bonn zu Elfriede Jelineks Clara S. , 1982.
Über ihren Theatertext
Clara S.
und zentrale Themen wie den Mythos des männlichen Künstlergenies (
Künstler
), die Problematisierung der Herabwürdigung von weiblichem Kunstschaffen (
Künstlerin
) im
Patriarchat
sowie die Reduzierung des Weiblichen (
Frau
) auf Mutterschaft (
Mutter
); weiters über die Personenkonstellationen des Theatertextes.