Über Clara S.

Abdrucke

auch in:

  • Je­li­nek, El­frie­de

    :

    Über Clara S. In: Programmheft des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart / Festivals d’Avignon / Theaterfestivals München zu Elfriede Jelineks

    1983

    (auf Deutsch und Französisch, Ü:

    Ca­the­ri­ne Mat­thieu

    , Titel auf Französisch: Au sujet de „Clara S.“ )

    .

  • Je­li­nek, El­frie­de

    :

    Die Frau als ihre eigene Biographie. In: Programmheft des Theaters am Neumarkt zu Elfriede Jelineks

    1989

    (Titel: Die Frau als ihre eigene Biographie )

    .

  • Je­li­nek, El­frie­de

    :

    Über Clara S. In: Programmheft des Düsseldorfer Schauspielhauses zu Elfriede Jelineks

    1992

    .

 

Über ihren Theatertext

Cla­ra S.

und zentrale Themen wie den Mythos des männlichen Künstlergenies (

Künst­ler

), die Problematisierung der Herabwürdigung von weiblichem Kunstschaffen (

Künst­le­rin

) im

Pa­tri­ar­chat

sowie die Reduzierung des Weiblichen (

Frau

) auf Mutterschaft (

Mut­ter

); weiters über die Personenkonstellationen des Theatertextes.

 

Für mich waren die in Claras Aufzeichnungen so reichlich vorhandenen Beschwörungen, daß noch keine Frau selbstschöpferisch tätig zu sein vermochte (warum also gerade sie, Clara Schumann?), immer nur verzweifelte Schutzbehauptungen vor dem Postulat der eigenen schöpferischen Phantasie, die, wie ein tauber Ast, zum Absterben verurteilt war. Noch ehe darauf etwas wachsen konnte. Clara muß, um nicht selbst wahnsinnig werden zu müssen ob ihrer versäumten Möglichkeiten, all die Wertvorstellungen der von Männern gemachten Kultur übernehmen, vor allen anderen den obersten Fetisch der bürgerlichen Kunst: die Originalität, die Kühnheit, das Neue, das nur der Mann vermag. Im Stück wird Clara zur Mörderin an ihrem Mann in dem Augenblick, da dieser, in der fröhlichen Freiheit des Wahnsinns, sich über diese ehernen Regeln hinwegsetzt und ein fremdes Werk für sein eigenes ausgibt. Zur vielleicht seltsam anmutenden Konstellation der Personen in diesem Stück: Mir war rasch klar, daß ich, um die komplizierten Zusammenhänge von männlich dominierter Kultur, Sexualität, Macht und Ausbeutung – wieder sexueller wie ökonomischer – exemplarisch (und nur das Exemplarische reizt mich) darzustellen, eine Konstellation von Figuren finden müsse, die sozusagen als Prototypen all dieser Mechanismen repräsentieren. Der Gipfel ökonomischer, kultureller wie, stets damit verbunden, sexueller Macht wird vom faschistischen Dichter Gabriele D’Annunzio, einem berühmten Frauenkonsumenten, en gros und en détail, verkörpert. Natürlich muß zu diesem Zweck eine Art Zeitsprung stattfinden, denn zum Zeitpunkt der Handlung war Robert Schumann weit über ein halbes, Clara fast ein halbes Jahrhundert tot. Um die Sonne D’Annunzio, der eine gelungene Mischung aus Reichtum, Ruhm und Geilheit darstellt, kreisen als Trabanten die Frauenplaneten, die einander entweder seinen körperlichen Besitz neiden, seine ihm hörigen Komplizinnen werden (weil von ihm in jeder Weise abhängig) oder aber von ihm etwas bekommen wollen (Geld, Protektion etc.), was sie wieder nur durch Körperhingabe erlangen können. Die Damen stellen sich dem Meisterdichter als tüchtige und sensible Künstlerinnen vor, und der Dichter will nichts als sie körperlich konsumieren. [...]

Clara, die Priesterin der Kunst ihres Mannes, übt zur Revanche auf ihn, der aus ihr einen „häuslich-gemütlichen“ lebenden Brutofen gemacht hat, mit der Zeit einen immer unmenschlicher werdenden Druck zur genialen Produktion aus. Sie hat ihre Talente geopfert, nun will sie auch etwas dafür haben. Nur als Genie ist ihr Robert real, nur in dieser Rolle vermag sie ihn anzunehmen. Nur für ein Genie ist sie freiwillig in den Schatten der Hausfrau, Mutter und rein darstellenden Künstlerin zurückgetreten. Und so platzt Roberts Schöpferkopf auseinander, entzieht sich dem Postulat des beständigen Schaffens und löst durch dieses Sich-Entziehen, das ja Claras Opfer im nachhinein sinnlos, ja lächerlich macht, die endgültige letzte Katastrophe aus.

aus: Elfriede Jelinek: Über Clara S. In: Programmheft der Bühnen der Stadt Bonn zu Elfriede Jelineks Clara S. , 1982.

Übersetzungen

Französisch

  • Au sujet de „Clara S.“ In: Programmheft des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart / Festivals d’Avignon / Theaterfestivals München zu Elfriede Jelineks

    1983

    .

Mehr unter Theatertexte

Essayistische Texte, Reden und Statements
Essayistische Texte, Reden und Statements