Im Moor (En la Ciénaga, zwischen 1959-1969)

Cover des Sammelbands, 1973

Abdrucke

 

Onelio Jor­ge Car­do­so

wurde 1914 in Calabazar de Sangua, Las Villas, geboren und starb 1986 in Havanna. Von ihm stammen die Romane Taita, diga usted como (1945) und El caballo de coral (1960).

Jelineks Übersetzung von

Onelio Jor­ge Car­do­sos

Prosatext En la ciénaga erschien 1973 in dem von

Pe­ter Schult­ze-Kraft

herausgegebenen Band Wie ich zuhaus einmarschiert bin.

Der Band ist eine Anthologie kubanischer Erzählungen, die zwischen 1959 und 1969 geschrieben bzw. nachgedruckt wurden. Jelinek übersetzte den Text gemeinsam mit

Karl Au­gust Horst

und

Gert Losch­ütz

. Im Moor beleuchtet das Leben auf dem Land im postrevolutionären Kuba und erzählt die Geschichte einer

Frau

, deren krankes Kind (

Krank­heit

) bei der Bootsüberfahrt nach Jagüey stirbt (

Tod

).

 

Am Himmel war ein Stern, der stundenlang mit dem Boot mitzog. Dreimal während der Nacht hörte er die Frau husten, aber er sprach sie nicht an, und als der Tag über den Mangroven heraufdämmerte, sah er mit entzündeten und brennenden Augen das Haus am Strand und den Lastwagen. Seine Hände waren geschwollen, und wo früher der Fetzen um die Wunde gewickelt war, hatte er jetzt eine dicke schwarze Kruste von geronnenem Blut. Aber da war endlich die Siedlung, und am Ufer lag eine Jacht mit einer Gruppe von Anglern […]. Er sprang ins Wasser und schob das Boot so auf den Strand, daß die Frau direkt vom Heck aussteigen könnte und das kleine dunkle Bündel in ihren Armen keinen Spritzer abbekäme. Aber die Frau rührte sich nicht. Sie sah ihn nur an, während ein Mann im Sporthemd auf der Jacht zu ihnen herüberblickte und eine Bierflasche an den Mund hob.

„Also, wir sind da, steigen sie aus.“

Die Frau öffnete die Lippen. In ihren Augen war keine Träne, und doch waren es die traurigsten Worte der Welt, die sie sagte.

„Es ist tot.“

Der Gallego stand wie versteinert, aber nur einen Augenblick, dann schlug er mit der geballten Faust gegen den Bug, und es entfuhr ihm:

„Verdammt, warum haben Sie es nicht ins Meer geschmissen.“

Kaum hatte er es ausgesprochen, da schämte er sich zutiefst. Aber sie sah ihn nur an, denn sie wußte, daß die Menschen im Moor wie der Torf waren, der aus der Fäulnis der abgestandenen Jahre besteht, aus Pflanzen, die nicht gediehen, und aus Menschen, die nichts werden konnten.

aus: Onelio Jorge Cardoso: Im Moor . Ü: Elfriede Jelinek. In: Schultze-Kraft, Peter (Hg.): Wie ich zuhaus einmarschiert bin. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1973, S. 37-49, S. 48-49. (Schluss)