Die Säule ist immer sichtbar. Sie enthüllt sich selbst, nein, sie ist ihre eigene Enthüllung, die aber nichts preisgibt von sich.
Sie ist einfach: da. Aber sie ist oft nicht einfach. Sie trägt etwas, sie hält etwas. Oder auch nicht. Dann hält sie sich selbst,
das ist vielen ja sehr angenehm, wenn es nach oben geht. Unten ist das, worauf sie steht, und dann geht es nur noch nach oben.
Kein Mann will nach oben, und auch das täte er ja nicht: hinaufwollen um jeden Preis, nur um von oben in nichts als sich selbst
hineinzuschauen. Er schaut aber unwillkürlich auch auf andere, Größere, und dann will er gleich auch so werden. Der Säule ist es
nicht gegeben, zu werden, was sie sein will. Sie ist es schon, will aber vielleicht nicht. Sie zu erbauen, zu errichten, sie vielleicht
mit Zierat herzurichten, das ist das Sichtbare selbst. Da steht sie.
aus: Elfriede Jelinek: o. T.
In: Säulenwanderung. Amberg: Büro Wilhelm 2020, S. 12-13. S. 12.
Für den Fotoband von
Wolfram Kastner
und
Christian Lehsten
. Anlässlich der im Band präsentierten Fotoserie, bei der eine Säule als mobiles optisches Objekt verwendet wurde, über die Bedeutung der Säule.