Der Kehlkopf ist das Hervorkommen, eigentlich das Hervorkommenlassen, ja, dazu ist er da, er läßt das heraus,
was eingesperrt werden sollte, die Stimme, in einer Sprache, die jemand, irgendjemand verstehen muß, ja, muß!,
sonst ist sie keine Sprache, und dann ist die Stimme zu nichts nütze, also nur heraus, Sprache! Aus dem
ständigen Sichverschließen: heraus und hinaus! Das Schützende muß verlassen werden, und schon läuft es dem
Schützen vor die Flinte. Man muß aus der Deckung getrieben werden, ist man Stimme, und brauchte man dazu ein Gerät,
das wie die Treiber auf den Busch klopft, um die Stimme von ihrer Heimat, der Kehle, zu trennen und hinauszuscheuchen.
Sie muß zu etwas gezwungen werden, diese Stimme, was sie ohndies gerne tut. Das ist die größte Anstrengung: Etwas zu tun,
das erlaubt ist und doch wesenhaft von der Welt getrennt. Das bahnt sich jetzt seinen Weg, bevor es ganz weg ist.
aus: Elfriede Jelinek: Ungeduldetes, ungeduldiges Sichverschließen (ach, Stimme!). Zu Valie Exports Performancefilm „I turn over the pictures of my voice in my head“ , 2008.
http:// www.elfriedejelinek.com/fvaliest.html (7.10.2019), datiert mit 22.2.2009 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2009, zur Kunst).
Über
VALIE EXPORTs
Intention, den Ursprung der Stimme sichtbar zu machen. Die
Frau
sei die Verborgene, die Ungehörte, die Verschwindende. Die Stimme der Frau müsse verschwinden, weil es unerwünscht sei, dass sie gehört wird. Für
Claudia Müllers
Dokumentation Valie Export – Ikone und Rebellin aus Anlass von VALIE EXPORTS 75. Geburtstag (
Erstsendung: ORF 2, 18.5.2015
) las Jelinek Passagen aus dem Essay ein.