UNSERES 2.0. NEIN: MEINS, ALLES MEINS! HAHA! (Ajax Ajax!, reinigt alles)

NEIN: MEINS, ALLES MEINS! HAHA!

Cover des Erstdrucks, 2018

Abdrucke

Erstveröffentlichung:

Erstdruck (= Buchausgabe):

 

Jelinek verfasste UNSERES 2.0 als Zusatz zum Theatertext

Un­se­res. (2016)

. Anlass waren die Ereignisse in Parndorf, wo am 26.8.2015 in einem in einer Nothaltebucht auf der Ostautobahn A4 zurückgelassenen Kühllastwagen 71 Geflüchtete tot aufgefunden wurden. Sie wollten, im Fahrzeug versteckt, von Ungarn nach Österreich gelangen.

Der Theatertext ist durch Absätze und Leerzeilen gegliedert. Der mittlere Teil ist auf SprecherInnen (Chor, Ich, 1, 2, 3) aufgeteilt.

Wie in

Un­se­res.

werden auch in UNSERES 2.0 der Suizidversuch eines syrischen Asylwerbers (

Flucht

) und die Reaktionen in den sozialen Medien (

Po­li­tik

,

Ras­sis­mus

,

Frem­den­feind­lich­keit

) thematisiert. Unter Bezugnahme auf

Ara­ta Ta­ke­das

Ästhetik der Selbstzerstörung (2010) und

Em­ma­nu­el Lé­vi­n­as

Totalität und Unendlichkeit (1961) befasst sich der Text mit Selbstmordattentaten (

Ter­ro­ris­mus

) und verbindet diese Thematik auch mit der Frage nach gesellschaftlicher Alteritätswahrnehmung (

Ge­sell­schaft

). Das Selbstmordattentat auf BesucherInnen des Konzerts von

Aria­na Gran­de

am 22.5.2017 in Manchester, der Terroranschlag auf einen jüdischen Supermarkt 2015 in Paris werden ebenso aufgegriffen wie

So­pho­kles

Aias (

An­ti­ke

) und der biblische Samson.

Bezugnehmend auf die Debatte beim Berliner Theatertreffen 2017 um

Clau­dia Bau­ers

Inszenierung von

Pe­ter Rich­ters

Roman 89/90 , bei dem der Text der Neonazi-Figur nach der ersten Vorstellung auf Anordnung des Festspiel-Intendanten

Tho­mas Ober­en­der

zensuriert wurde – anstatt „Neger“ (

Ras­sis­mus

) sollte der Schauspieler „Beep“ sagen – thematisiert Jelinek auch die Frage nach Political Correctness und Blackfacing am Theater.

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:
„Die Herren dieser Schöpfung:

So­pho­kles

: „Aias“, in der Übersetzung von Rainer Rauthe (das Reclam-Heftl halt)

Em­ma­nu­el Lé­vi­n­as

: „Totalität und Unendlichkeit“, Monsieur, Sie bitte ich unendlich oft um Verzeihung!

Frantz Fa­non

: „Schwarze Haut, weiße Masken“, lasten Sie das also gefälligst nicht mir an!

Süddeutsche Zeitung vom 26.8.2015

Ara­ta Ta­ke­da

: „Ästhetik der Selbstzerstörung““

 

Es sprechen zwei Schauspieler serbisch miteinander. Telefonieren wäre besser, dann müssen die Serben nicht jeden Abend persönlich erscheinen, um der Natürlichkeit auf die Sprünge zu helfen. Sie können das einfach aufnehmen. Serben werden wir wohl noch auftreiben können, die sind gut integriert hier, können aber ihre Sprache noch, und wir stehen schließlich als Aufseher über ihnen. Einer und dann ein andrer, wie gehabt:

Wo bist du, Bruder?
Zu Hause.
Weißt du, was passiert ist?
Was ist passiert?
Dieser Lastwagen vom Meister, der Volvo. Man hat gehört, daß die Hälfte der Leute gestorben sind. (Lacht)
Gestorben?
Die Hälfte der Leute sind gestorben, ja.
Sie sind nicht am Leben? Sie sind nicht am Leben. Ja.
Ts ts ts.

Der Chor: Nicht wäre dies so eingetreten, wenn sie die Tür hätten eintreten können oder die Seitenwände, nichts wäre so eingetreten, wenn nicht durch unserer oder der Götter Macht, der wir hier Ausdruck und Stimme leihen. Die machen alles, Sie müssen sich um nichts mehr kümmern. Zu großen, überschweren Schmerz vollendet haben sie! Das Leid wurde gesät, es wurde geerntet, und jetzt wollen sie sich auch noch eine Flex, als Investition in die Zukunft, kaufen und Löcher in die Autos schneiden, damit niemand mehr drin ersticken muß. Und paßt schon! Ich kann Ihnen sagen, wo der nächste Baumarkt ist.

aus: Elfriede Jelinek: UNSERES 2.0. NEIN: MEINS, ALLES MEINS! HAHA! (Ajax Ajax!, reinigt alles) . In: SB Die Schutzbefohlenen 2018, S. 446-589, S. 542-543.

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