Es stehen einander zwei Dinge gegenüber, die Sprache und ihr Besitzer. Die Sprache ist die Sprache.
Sie mag bedeuten was sie will, sie mag auch nichts sagen und doch sprechen, doch immer wird was sich der
Sprecher denkt an einem Gegenstand festgemacht. Das wird ein Fest! Der Sprecher darf endlich seinen Gegenstand
verschlingen. Manche werden ihn leben lassen, aber nicht hoch. Es wird jedoch weiter nichts gemacht dabei,
außer daß das Grenzenlose, das Denken, an die Sprache festgebunden wird, und an dieser Fessel zerrt es seither.
Es gibt da einen Steckbrief für den Besitzer einer ganz bestimmten Sprache, die man kennengelernt hat,
denn was vorliegt wird manchmal auch wahrgenommen: da stehen die daten eines Studenten der Medizin, der sich,
nach „staatsverräterischen Handlungen“ dem genannten Staat entzogen hat. Der Student steht wo anders, aber er soll,
wird er ergriffen, eingeliefert werden. Dann ist er aber geliefert! Es folgt die Beschreibung des Studenten, Größe,
Alter, Haare, Stirne (sehr gewölbt), auch die Bartfarbe ist gefragt, nach der in heutigen Steckbriefen, glaube ich,
nicht mehr gefragt wird. Der Student soll kurzsichtig sein. Er ist sehr jung gestorben, jetzt ist nichts mehr
von ihm übrig als was er gedacht und aufgeschrieben hat. Er konnte es nicht behalten, aber wir können es behalten, wenn wir wollen.
aus: Elfriede Jelinek: Was uns vorliegt. Was uns vorgelegt wurde. In: Der Standard, 19.10.1998.
Dankesrede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 1998. Zunächst kurz zur geplanten Aufhebung der Anonymität der Sparbücher in
Österreich
. Über den „Studenten“
Georg Büchner
als Dichter und Revolutionär (
Politik
). Er habe immer auf Unrecht in der
Gesellschaft
hingewiesen und dieses genauestens dokumentiert. Als Dichter habe er fremdes Sprechen in sein eigenes montiert, er habe sich zunächst mit dem Sprechen von anderen bekannt gemacht, das für ihn erst durch die Ereignisse entstanden wäre, und diese Geschehnisse dann auf die Sprache bezogen. Diese Sprache habe er „mitsamt ihrem neuen Überzug weitergegeben“. Seither würde an diesen Bezügen herumgewaschen, auch sie selbst mache das so.