Die Frau und ihr Herr Körper gehören zusammen. Geht der Körper, geht auch die Frau,
welche ohne ihren Herrn, den Körper, nicht mehr da ist. Und es gibt auch keine Ebene,
auf der sich die Frau ohne ihren Körper denken ließe. Sie muß schon dankbar sein,
wenn man an eine ihrer Hervorbringungen denkt, ohne den Einblick
in ihren Körper-Raum bzw. den Aufblick auf ihre Körper-Aufbauten automatisch auf
sie draufzuhäufen wie eine Portion Schlagobers. Doch hallo! Keines der Teile dieses
Herrn K. kann, für sich allein, irgendeinen Sinn übernehmen, außer dem einen:
schön, gefällig zu sein, und zwar: Im Zusammenspiel. Also kann auch kein Element
dieses Herrn ohne das andere auskommen, selbst die einzelnen Teile K’s parasitieren
voneinander. Brüste können zwar als schön anerkannt werden, doch kombiniert mit häßlichem
Gesicht und kurzen O-Beinen sind sie nicht viel wert. Es setzt ein dauerndes Vergleichen ein,
und zwar durch die Frau selber, die ja auf Herrn K. angewiesen ist,
als dem einzigen Teil von ihr, dem überhaupt ein Sinn zugesprochen werden kann.
Das was man sieht, ist schon ALLES! Darüber hinaus ist nichts. Dieser einzig reale Herr K.
ragt in den Raum hinein, zeigt sich vor, verzehrt alles, was an Eigentümlichkeiten da ist,
und zwar schlingt er es schnell runter, denn, was er will, ist: Nichts über sich hinaus!
So, das wär’s. Der Konsument begibt sich aus seiner Kleidung heraus und betritt das Geschäft.
Dann bestellt er sich erwartungsfroh den K., als müßte er nur noch eine weitere Türschnalle
drücken, um ihn aufzukriegen. Es ist ihm ganz egal, daß dieser Herr K. zu einer Frau gehört.
Er nimmt ihn gleich mit. Auseinander, Frau! Sie können ihre Ansammlungen an Teilen zu immer
neuen Kaleidoskop-Bildern zusammenfügen, aber das Bild wird immer ziemlich flach ausfallen.
Zusammengewürfelt kann nur werden, was an Splittern, Fragmenten, Einzelteilchen vorher
in dieser Ebene ausgelegt worden ist. Aber darüber hinaus ist eben nichts an der Frau,
das, über ihren Herrn K. hinaus, noch ausgelegt werden könnte. Was es wiegt, das hat es.
Keines ihrer Teile, auf die jeder-man Anspruch hat, zusammengenommen, ergeben ein Ganzes,
aber sie lassen durch die Tür nichts durch, was allein noch dableiben würde,
auch wenn Herr K. endlich durch diese Tür gekommen und wieder gegangen sein wird.
Denn Herr K. ist selbst das, was kommt, und gleichzeitig der Türhüter, der es nicht durchläßt;
und jede Frau hat ihren eigenen. Und meist traut sie sich selbst nicht durch ihre eigene Tür hindurchzugehen.
Elfriede Jelinek: Die Frau und K .
In: Huck, Brigitte (Red.): Auf den Leib geschrieben. Wien: Kunsthalle Wien 1995, S. 65-72.
(= Katalog zur Ausstellung Auf den Leib geschrieben vom 15.12.1995-31.1.1996
in der Kunsthalle Wien)
Über den
Körper
der
Frau
, im Text „Herr K.“ genannt, auf den die Frau im
Patriarchat
reduziert wird und der sie gänzlich beherrscht, sowie über den männlichen Blick und die Besitzansprüche der Männer (
Mann
) auf den weiblichen Körper. Der Text weist intertextuelle Bezüge zu
Franz Kafka
, zu Jelineks Essay
Von Natur aus sind... (1977)
, ihrem Kurzprosatext
Bild und Frau (1984)
und ihrem Theatertext
Körper und Frau (2001)
auf. Der Text wurde für die Ausstellung Auf den Leib geschrieben (1995) der
Kunsthalle Wien
verfasst und war dort auf einer großen Schautafel zu sehen.