Sie schaut sich dann den Wintermantel genauer an, befühlt den Stoff zwischen den
Fingern und sagt: „Ein ausgezeichnetes Stück. Paßt weder zu dir noch zum Wetter,
zieh ihn lieber aus!“ Und dann sagte sie noch während sie wie geistesabwesend am
Kragen herumfummelt, „den Mantel kennʼ ich doch, mein Freund Dimitrios hat genau
den gleichen gehabt, mit dem er den Winter glücklicherweise überstanden hat,
aber das Frühjahr nicht mehr, weil er verschwunden ist.“ „Der Mantel?“ fragt er.
„Nein, der Dimitrios“, antwortet sie, „aber er ist schon wieder da, sie haben ihn
an der Galatabrücke aus dem Wasser gezogen. Sie haben allerdings nie genau gewußt,
ob er es wirklich war. Nur an seinem Mantel haben sie ihn erkannt. Jemand hat ihm
den Schädel eingeschlagen. Von seinem Gesicht war nicht mehr viel übrig.
aus: Elfriede Jelinek: Kapitel II erzählt von der Schriftstellerin Elfriede Jelinek .
In: Textperimente. Fortsetzung folgt… wer liest denn sowas? Mainz: ZDF aspekte 1999, S. 9-11, S. 9.
Der Text ist das zweite Kapitel einer Fortsetzungsgeschichte und wurde am 18.12.1998 in der Sendung aspekte von Jelinek vorgelesen. Neben Jelinek verfassten
George Tabori
,
Doris Dörrie
,
August Everding
,
Harald Schmidt
und
Elke Heidenreich
jeweils eines der sechs Kapitel. Den Schluss der Geschichte konnte das Publikum einsenden. Die sechs Kapitel und verschiedene Varianten des Schlusses wurden im Heft
Textperimente
veröffentlicht.
Jelineks Teil beschreibt ein Zusammentreffen zwischen dem Erzähler und Gisela Gombric, bei dem diese entdeckt, dass der Wintermantel des Erzählers, den er in einer Bar gegen seinen Regenmantel getauscht hatte, ihrem ermordeten Freund Dimitrios Makropouos (
Gewalt
,
Tod
) gehörte. Am Ende des Kapitels entreißt Gisela dem Erzähler den Mantel und läuft davon.