Jack (langsam und zögernd): Gwendolen – ich meine Cecily – ach was... alle beide! Es
ist sehr schmerzlich für mich, die Wahrheit zu sagen. Es ist das erste Mal in meinem
Leben, daß ich in eine solch peinliche Lage gerate. Habe folglich keine Übung darin.
Ich will euch aber ganz offen sagen, daß ich keinen Bruder Ernst besitze, nie einen
besessen habe und auch nie auf einem sitzen werde. Ich habe überhaupt keinen
Bruder, mein Leben lang nicht, und ich habe auch nicht vor, mir in Zukunft einen
anzuschaffen. So.
Cecily (überrascht): Überhaupt keinerlei Bruder vorhanden!
Jack (fröhlich): Keiner.
Gwendolen (streng): Du hattest niemals wenigstens irgendeine Abart von Bruder?
Jack (freundlich): Nie. Keinen. Nicht einmal eine Untergattung der Spezies Bruder.
Gwendolen: Ich fürchte, Cecily, wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen. Keine
von uns ist mit irgend jemand verlobt oder will irgend jemand heiraten.
Cecily: Das ist aber keine sehr angenehme Lage für ein junges Mädchen, oder?
Gwendolen: Nicht verlobt, nicht verheiratet, nicht verschwägert. Laß uns ins Haus
gehen! Sie werden es kaum wagen, uns dorthin zu folgen.
Cecily: Sicher nicht. Männer sind sowas von feige, nicht wahr?
(Sie ziehen sich unter verächtlichen Blicken ins Haus zurück)
Jack: Wenn es das ist, was du unter Bunburysieren verstehst, dann ist es ein
entsetzlicher Zustand. Keine Ahnung, wieso du immer so scharf drauf warst.
Algernon: Aber ja, da hast du einen! Sogar einen super Bunbury! Der beste, den ich
je hatte. Sehr angenehm! Naja, mit kleinen Einschränkungen vielleicht.
Jack: Ich habe dir ausdrücklich verboten, deinen Bunbury hier zu aktivieren.
Algernon: Quatsch! Man kann überall bunburysieren, wo man will! Im Ernst! Jeder
ordentliche Doppellader wird dir das jederzeit bestätigen.
Jack: Ein Bunburysierer und ordentlich! Du spinnst ja! Du hast wohl mehr als die
doppelte Menge geladen!
Die Übersetzung war eine Auftragsarbeit für das
Wiener Burgtheater
. Jelinek erstellte sie zusammen mit
Karin Rausch
.
Das Stück ist in drei Akte gegliedert. Charakteristisch für den Stil der Übersetzung sind ein freier Umgang mit dem Originaltext und sprachliche Aktualisierungen. Die sexuellen Konnotationen (
Sexualität
) des Textes und die Künstlichkeit der Dialoge wurden hervorgehoben und verstärkt. Betont wurde auch die in
Wildes
Text implizite Auseinandersetzung mit
Homosexualität
, die im Konflikt mit der vom
Patriarchat
geprägten Gesellschaftsordnung (
Gesellschaft
) steht. Ein weiteres Motiv des Textes ist das Spiel mit falschen Identitäten: die beiden Protagonisten Algernon und Jack geben sich unter falschen Namen aus bzw. erfinden fiktive Verwandte oder Bekannte, um unbehelligt ihren Vergnügungen nachgehen zu können. Die Wortspiele im Originaltext wurden ins Deutsche übertragen bzw. durch eigene Wortspiele ergänzt.
Der freie Umgang der Übersetzerinnen mit dem Original wurde in mehreren Rezensionen der Erstaufführung kritisiert.