Der Jude von Malta (The Famous Tragedy of the Rich Jew of Malta, um 1590, gedruckt 1633)

Erstaufführung am Burgtheater Wien, 2001. Foto: Burgtheater Wien / Roswitha Hecke

Abdrucke

Erstdruck:

Teilabdrucke:

Aufführungen

 

Die Übersetzung war eine Auftragsarbeit für

Pe­ter Zadeks

Inszenierung am

Wie­ner Burg­thea­ter

. Jelinek erstellte sie zusammen mit

Ka­rin Rausch

. Die Übersetzung wurde im Programmheft des

Wie­ner Burg­thea­ters

abgedruckt. Das Programmheft des

Wie­ner Burg­thea­ters

enthält auch einen von Jelinek in Zusammenarbeit mit

Ka­rin Rausch

übersetzten Prolog von

Tho­mas Heywood

( Prolog 1633 ), der 1633 für eine Aufführungsserie des Juden von Malta im Theater Cockpit in London entstanden war.

Jelinek und

Rausch

aktualisierten

Mar­lo­wes

Sprache durch die Verwendung zeitgenössischer Begriffe und Sprachspiele und ersetzten den Blankvers des Originals durch rhythmisierte Prosa. Das Stück ist in fünf Akte gegliedert und handelt von der Enteignung des jüdischen Kaufmanns Barabas durch den christlichen Gouverneur Farnese. Barabas rächt sich dafür und setzt so eine Spirale aus Intrigen, Mord und

Ge­walt

in Gang. Am Ende des Stücks wird Barabas jedoch verhaftet und stürzt in einen Kessel mit kochendem Wasser. Der

An­ti­se­mi­tis­mus

des Stücks sowie die Reflexionen über das Konfliktpotential von Religion werden in Jelineks und

Rauschs

Übersetzung in den Vordergrund gestellt.

In den Rezensionen zur Erstaufführung am

Burg­thea­ter

(mit

Gert Voss

in der Hauptrolle) wurden die Aktualisierungen der Übersetzung unterschiedlich bewertet.

 

Natürlich ist Der Jude von Malta ein antisemitisches Stück, es kommen alle antisemitischen Stereotypen darin vor, mit einem Antisemitismus, der sozusagen seine Unschuld auch noch, in aller Unschuld, behauptet. Es ist sozusagen ein selbstverständlicher Antisemitismus. Aber gleichzeitig entlarvt es auch den Antisemitismus, und darin wird es interessant. Denn ausgelöst wird die Raserei des Barabas ja von den unerhörten Schandtaten von Christen. Und wie von einem Spiegel werden diese Untaten stets auf denjenigen zurückgeworfen, der sie auslöst und damit auch gleichzeitig eine neue „Runde“ in der Eskalation von Gewalt auslöst (das ist natürlich paradigmatisch für die politische Situation derzeit). Bis sich das in einer aberwitzigen Spirale von Enteignung, Brutalität, Diebstahl und Mord so lange dreht, bis (und das ist fast schlimmer als wenn alle tot wären) der status quo ante wieder erreicht ist und die Macht sozusagen wieder an ihrem Platz ist, bei den Kreuzrittern und beim siegreichen Gouverneur, während der Jude wie in einem Brennspiegel, in dem sich der Haß gegen ihn fokussiert hat, verbrennt (im siedenden Öl gekocht wird), man könnte auch sagen: sich in der Grube, die er andren gegraben hat, auflöst und verschwindet. Der Jude muß sozusagen verschwinden, damit er die Gemeinheit der Christen nicht mehr spiegeln kann. Damit die Christen nicht mehr sich selbst anschauen müssen, und die Christen sind hier ja Kreuzritter, Imperialisten, Völkermörder, das darf man nicht vergessen. [...] Während aber diese Kreuzrittergesellschaft einfach ihre Verbrechen begeht, hat der Jude Barabas, und darin liegt, wie ich finde, die Modernität dieser Figur, das Geld als eine Art Vermenschlichungsmaschine entdeckt. Man könnte sagen: der abstrakte Tausch paradoxerweise als das einzige zivilisatorische Element einer Raubritter-Gesellschaft. Als Ersatz für die dunklen Primärtriebe und atavistischen Greuel. Geld als Objektivierungsmechanismus.

aus: Elfriede Jelinek: „Der Jude muß verschwinden“ . In: Bühne 12/2001, S. 16.