Die Kinder der Toten

Roman

Cover des Erstdrucks, 1995

Abdrucke

Erstdruck:

Taschenbuchausgabe:

Lizenzausgaben:

Teilabdrucke:

Abbildung der Seiten 270-271 des Typoskripts

CD

  • Elfriede Jelinek – Ein Portrait. 2 CDs.

    Wien

    :

    ORF

    2006

    DN (auf CD 2: Lesung Jelineks aus Die Kinder der Toten )

    .

Preise

 

Der ursprünglich geplante Titel des Romans war Die Kinder der Untoten. Die Seitenzahl beträgt bewusst 666 Seiten, was der Zahl des Tieres bzw. des Antichristen entspricht; die letzte Seite ist daher unpaginiert. Neue Kapitel werden durch neue Seiten und durch fettgedruckte erste Wörter dieser Seiten ausgewiesen.

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes vorangestellt:

„Stellvertretend für jene Personen, die mir wertvolle Anregungen gegeben haben, danke ich insbesondere dem Satanismusforscher

Jo­sef Dvo­rak

. (E. J.)“. Als Motto ist dem Roman auf S. 5 ein Spruch auf Hebräisch auf drei gefalteten Schriftbändern vorangestellt, die von

Eran Schaerf

gestaltet wurden. Es handelt sich dabei nicht – wie lange in der Rezeption behauptet wurde – um einen Satz aus der Thora oder Kabbala, sondern er stammt von Jelinek. Auf dem hinteren Umschlag der Hardcover-Ausgabe des Rowohlt Verlags findet sich die deutsche Übersetzung: „Die Geister der Toten, die solang verschwunden waren, sollen kommen und ihre Kinder begrüßen.“

Der Text wird durch einen Prolog, der auf die „großen Toten“ Österreichs Bezug nimmt und die Folgen einer Kollision zweier Kleinbusse beschreibt, eingeleitet und durch einen Epilog abgeschlossen, der über eine Mure berichtet, die den Ort Tyrol unter sich begräbt. Die untoten HauptprotagonistInnen (

Un­to­te

) sind Karin Frenzel, die mit ihrer

Mut­ter

in der in den steirischen Bergen gelegenen Pension Alpenrose Urlaub macht und beim Unfall der Kleinbusse verunglückt, die Philosophie-Studentin Gudrun Bichler, die Selbstmord begangen hat, und der Skiläufer Edgar Gstranz. Darüber hinaus gibt es weitere Untote, die meist unbemerkt von den lebenden Menschen existieren, aber andere Untote wahrnehmen und auch sexuell (

Se­xua­li­tät

) miteinander verkehren.

In ihrem von ihr selbst so bezeichneten „Opus magnum“ thematisiert Jelinek u.a. die mangelnde Auseinandersetzung mit dem

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

und dem Holocaust (

Ju­den­ver­nich­tung

) in

Ös­ter­reich

und deren Folgen

An­ti­se­mi­tis­mus

und

Frem­den­feind­lich­keit

. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Exkurse zu historischen und aktuellen Ereignissen aus den Bereichen

Po­li­tik

, Religion (

Ka­tho­li­zis­mus

) und

Sport

. Die

Aus­beu­tung

der

Na­tur

durch den

Tou­ris­mus

und die kritische Auseinandersetzung mit

Hei­mat

bilden weitere Themenkomplexe.

Es gibt zahlreiche Bezüge zu anderen Werken Jelineks. So führt u.a. die Beziehung von Karin Frenzel und ihrer

Mut­ter

die Mutter-Tochter-Beziehung im Roman

Die Kla­vier­spie­le­rin (1983)

fort.

2007 wurde vom Studiengang Internationales Tourismus-Management im Saarkohlewald bei Saarbrücken in einem ehemaligen Bergbau-Gebiet ein Naherholungsraum mit einem 45 km langen Haldenrundweg geschaffen. Für den Haldenweg Grühlingshöhe wurde ein „Literarischer Aufstieg“ mit steinernen Schwellen angelegt, auf denen kurze Auszüge aus Die Kinder der Toten zu lesen sind.

Beim

stei­ri­schen herbst

2017 gab es einen größeren

Schwer­punkt

Symposien

zum Roman, in dessen Rahmen auch eine 144-stündige Lesung ( Tosende Stille. Eine 144-stündige öffentliche Lesung des Jelinek-Romans „Die Kinder der Toten“ ) mit BesucherInnen stattfand.

 

Dem wird ein Strich durch die Endabrechnung gemacht, denn die Scheuesten der Scheuen, die Geister der Toten, die auf keinem Gesetz beruhen, auch auf keinem erfundenen, kommen bereits hinter diesem jungen Sportler her. Sie haben sich aus großen Massen zu einem schmalen indignierten Mundschlitz zusammengezogen und hetzen Edgar in den nach Leichenkäse riechenden Fahrtwind, der eigentlich, gemäß einem ungeschriebenen Naturgesetz, brav hinter ihm bleiben sollte. Nicht zieht die neue Zeit mit ihm, die sogar Hundertstelsekunden noch mißt, sondern es zieht die alte an ihm. Die stinkt ein bisserl, ist aber noch gut. Die Nacht berauscht sich an diesem jungen lebendigen Körper, dem sie bald die Haut abziehen wird, um neues Fleisch in die Würstchenhülle hineinzustopfen. Oder sie legt ihn in die Truhe des Bodens, damit auch die Künftigen noch etwas von ihm haben und nach seinem Schädel suchen können. Dort unten drängen sie sich nämlich, die Beseligten und die Bedudelten, die von nichts etwas gewußt und außerdem ihr Fälligkeitsdatum um mindestens 50 Jahre gefälscht haben. Inzwischen sind sie fast alle auf dem Weg ins Nichts, in den Humus, Tiere nagen an ihnen und vermehren sich in ihrem Fleisch, plantschen in ihrem Saft herum. So rein ist nur unsere Unschuld, die sich, in grünem Veltliner paddelnd, jahrzehntelang frisch halten konnte, bis zum berüchtigten Glykol-Zwischenfall. Da ist ihnen ein wenig Autonahrung hineingeraten. Um jedes Mahn-Mal müssen wir würfeln, um neu anfangen zu dürfen (den engl. Fallschirmspringer in Frein bei Mürzsteg, im Zwickel der Mur/Mürzfurche, hier, gleich um die Ecke haben sie ihn gebracht, sie haben ihn mit ihren Hirschfängern und klitzekleinen Eßbesteckmessern, die ansonsten friedlich schliefen im eisernen Geruch der Schubladenlehre – die haben sie an ihren Lederhosen gewetzt und in diesen gefangenen, in seinen Reiß-Seilen bereits eßfertig verpackten Wal-Rollmops, wie soll ich sagen, in ihn hineingestochen haben sie halt ihre Feitel. Und so haben die Leut ihren „Springer“, ihren lieben Toten, wie sie ihn heute nennen, während lustige Fältchen in ihren Augenwinkeln erscheinen, die Zipfelmütze des Schifahrers, der noch dreist den Vorkriegs-Stemmbogen fährt, und dazu den Gamsbarthut des bäuerlichen Bestemmers verwegen schräg auf die Zwergenköpfe gestülpt, so sind sie also damals einen heben gegangen und haben „den Springer“ durch die schweren Vorhänge-Schlösser hindurch, mit denen sie das Ihrige zu behütten pflegen, damit ihnen keiner durchs Dach fällt und dabei ein Loch macht, ins Nichts hineinschliaffen lassen.

aus: Elfriede Jelinek: Die Kinder der Toten. Reinbek: Rowohlt 1995, S. 292-294.

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