Ulrike Maria Stuart

Königinnendrama

Uraufführung im Kasino am Schwarzenbergplatz, 2007. Foto: Burgtheater Wien / Reinhard Werner

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Aufführungen

Würdigung

2007 wurde Jelinek für

Ul­ri­ke Ma­ria Stuart

von der Zeitschrift

Thea­ter heu­te

zur „Dramatikerin des Jahres“ gewählt.

 

Ulrike Maria Stuart wurde aus Anlass von

Schil­lers

200. Todesjahr geschrieben und verbindet die Figuren Maria Stuart und Elisabeth von England aus

Schil­lers

Maria Stuart mit dem Konflikt der beiden RAF-Mitglieder

Ul­ri­ke Ma­rie Mein­hof

und

Gud­run Ens­slin

. Nach den

Prin­zes­sin­nen­dra­men Der Tod und das Mäd­chen I-V

, die die

Frau

in Bezug auf den

Mann

thematisieren, zeigt Jelinek im Königinnendrama Ulrike Maria Stuart Frauen, die als Subjekte der Macht und der Geschichte fungieren wollen.

Der Text ist in drei Teilstücke gegliedert und zu großen Teilen in Jamben und Trochäen verfasst. Neben Ulrike und Gudrun werden noch weitere Personen bzw. Chöre als SprecherInnen genannt: Die Prinzen im Tower, Chor der Greise, Ein versprengter Engel aus Amerika und Die Königin. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

Dann die übrigen, die Originaltexte und -kassiber der RAF und ihres Umfelds, Briefwechsel

Gud­run Ens­slins

(‚Zieht den Trennungsstrich, jede Minute‘),

Ste­fan Aust

,

Butz Pe­ters

,

Al­brecht Well­mer

und sehr viele andre mehr.“

Ausgehend von den Konflikten innerhalb der RAF (

Ro­te-Ar­mee-Frak­ti­on

) reflektiert der Text die Ereignisse des Deutschen Herbstes 1977 (

Deutsch­land

) und das Spannungsfeld von politischem Widerstand (

Po­li­tik

),

Ter­ro­ris­mus

und

Ge­walt

aus gegenwärtiger Sicht.

Jelinek verfügte zunächst, dass der Text, der vom 27. bis 28.2.2006 auf ihrer Website war, nicht veröffentlicht wird und ausschließlich als Theatertext rezipiert werden sollte. Vor und nach der Uraufführung gab es Versuche, die Aufführung durch rechtliche Schritte zu verhindern. Die Tochter

Ul­ri­ke Mein­hofs

, die Publizistin

Bet­ti­na Röhl

, protestierte dagegen, dass Jelinek ihre Persönlichkeitsrechte verletzen und die historischen Fakten verzerren würde, und drohte mit Klage. Die Angelegenheit wurde nach Gesprächen der Anwälte beider Seiten beruhigt.

Die Schriftstellerin

Mar­le­ne Stre­eru­witz

klagte das

Tha­lia Thea­ter Ham­burg

wegen der Darstellung ihrer Person als Vagina in

Ni­co­las Ste­manns

Uraufführungs-Inszenierung. Darin führen Jelinek und

Stre­eru­witz

, dargestellt von Schauspielerinnen, als sprechende Vaginas einen Dialog, in dem Ausschnitte aus einem

In­ter­view (1997)

der beiden Autorinnen aus der Zeitschrift

Em­ma

verwendet werden.

Stre­eru­witz

’ Klage wurde abgewiesen.

 

Sonja Anders:In den Prinzessinnendramen zeigen Sie Frauen stets als „Objekte“. Mit Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin (bzw. Maria Stuart und Elisabeth) verschieben Sie den Akzent; weibliche „Subjekte“, die Geschichte machen, sind das Thema. Können Sie erklären, was Sie damit meinen: Wann ist Frau Objekt, wann ist sie Subjekt ihrer Handlungen? Und: Worin drückt sich, sofern er denn existiert, der Subjektstatus Ulrike Meinhofs und Gudrun Ensslins aus?

Elfriede Jelinek: […] Die Prinzessinnen sind vielleicht eine weibliche Lebensmüllhalde, aber der Müll besteht aus Gegenständen, die nicht fertiggeworden und vorzeitig weggeschmissen worden sind. Sie sprechen davon, was hätte sein können oder was wäre wenn… Berühmte Dichterinnen, die geglaubt hatten, Königinnen ihrer Kunst, ihrer Familie, der Männer, des Heims zu sein, werden zu Schrott, und sie wissen es. Die Königinnen dagegen sind, ob sie es wollen oder nicht, Subjekte von Geschichte. Sie haben diesen Status, entweder durch Geburt (die historischen Königinnen Maria Stuart und Elisabeth I.) oder durch ihren leidenschaftlichen Wunsch, sich zu Subjekten der Geschichte zu machen, als „angemaßte“ Königinnen. […] In der RAF haben die Frauen die Macht an sich gerissen, jede auf ihre Weise, beide waren sie Mütter und haben ihre Kinder verlassen, aber sie haben die Geschlechtsrolle nicht verlassen. Die Königin Gudrun hat neben ihrem Kinderkönig Andreas geherrscht, Ulrike (von der der ehemalige BKA-Chef Herold behauptet, erst ihr Eintritt in die RAF habe diese für die Intellektuellen, die linke bürgerliche Intelligenz – auch wenn sie sich damals nicht als bürgerlich gesehen hat, war sie es doch – sozusagen salonfähig gemacht, zu etwas, für das man sich offen engagieren konnte) hat ihre Weiblichkeit offenbar bewusst hintangestellt (in diesem Sinne war sie mehr Elisabeth als Gudrun Ensslin, meine Elisabeth, die ja die sieghafte Herrscherin ist). Was mich aber noch mehr interessiert hat, ist die Differenz, die Kombination mit den historischen Königinnen, die ja immerhin die Schiller’sche Sprachleidenschaft beisteuern, das Stück ist ja zur Gänze in gebundener Sprache geschrieben. Schiller ist also der Rhythmusgeber, die Rhythmusmaschine. Diese Spielformen weiblicher Herrschaft (nur bei der historischen Elisabeth hat das zu einem „natürlichen“, nicht gewaltsamen Tod geführt, aber sie hatte natürlich diese entsetzliche Kindheitserfahrung, dass ihre Mutter geköpft worden ist), die alle in den Tod führen, weil politische Herrschaft für eine Frau immer Überschreitung ist, schon indem ihre Weiblichkeit in der Herrschaft überhaupt thematisiert wird (bei Männern ist der Herrschaftsanspruch selbstverständlich), die habe ich festzuhalten versucht. […]

Welcher Konflikt zwischen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin hat Sie interessiert? Was macht ihn auf Maria Stuart und Elisabeth übertragbar?

Also da müsste ich einen ganzen Roman schreiben, um das zu beantworten. Es geht, wie gesagt, um zwei Frauen, die sich zu Protagonistinnen von Geschichte erklärt haben. In Schillers Stück durch königliches Geburtsrecht, in der RAF sind es selbstermächtigte Herrscherinnen (oder solche, die sich vom „Volk“ ermächtigt fühlen!), die glauben, die Geschichte in die Hand nehmen zu müssen. Es gibt da aber unzählige Facetten der Persönlichkeiten dieser beiden Frauen.

aus: Sonja Anders: „Vier Stück Frau“. Vom Fließen des Sprachstroms. Einige Antworten von Elfriede Jelinek. In: Programmheft des Thalia Theater Hamburg zu Elfriede Jelineks Ulrike Maria Stuart, 2006.

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