Ulrike Maria Stuart
Königinnendrama
Uraufführung im Kasino am Schwarzenbergplatz, 2007. Foto: Burgtheater Wien / Reinhard Werner
Uraufführung im Kasino am Schwarzenbergplatz, 2007. Foto: Burgtheater Wien / Reinhard Werner
Jelinek, Elfriede
:
Ulrike Maria Stuart. http://www.elfriedejelinek.com/fmaria.html (28.2.2006)
27.2.2006
(= Elfriede Jelineks Website, Rubrik: Aktuelles).
Jelinek, Elfriede
:
Ulrike Maria Stuart. In: Das schweigende Mädchen. Ulrike Maria Stuart. Zwei Theaterstücke.
Reinbek
:
Rowohlt Taschenbuch Verlag
2015
, S. 7-149
DN (auch als E-Book)
.
Jelinek, Elfriede
:
Ulrike Maria Stuart. Königinnendrama Ausschnitt.
Teilabdruck
In: manuskripte 169 (
2005
), S. 105-107
.
Jelinek, Elfriede
:
Ulrike Maria Stuart. (Königinnendrama) Ausschnitt.
Teilabdruck
http://www.elfriedejelinek.com/fstuart.html (15.7.2014)
18.6.2005
(= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2005, Theatertexte).
UA | 28.10.2006
, I:
Nicolas Stemann
Erstsendung des TV-Mitschnitts: 3sat, 5.5.2007 (Live vom Theatertreffen Berlin 2007)
29.3.2007
, I:
Jossi Wieler
Jelineks Essay
Die Leere öffnen (für, über Jossi Wieler) (2006)
20.4.2007
, I:
Felicitas Brucker
28.9.2007
Nationaltheatret
, Oslo
, I:
Melanie Mederlind
, Ü:
Elisabeth Beanca Halvorsen
29.9.2007
, I:
Fanny Brunner
6.10.2007
, I:
Crescentia Dünßer
,
Otto Kukla
6.10.2007
, I:
Michael Simon
zu sehen auf:
Teil 1: http://www.youtube.com/watch?v=ByJpRWKZwOk (15.7.2014) (= YouTube).
Teil 2: http://www.youtube.com/watch?v=hV-E36jdut0 (15.7.2014) (= YouTube).
Teil 3: http://www.youtube.com/watch?v=2HYFkNFIFWM (15.7.2014) (= YouTube).
9.11.2007
, I:
Peter Kastenmüller
28.12.2008
tpt
, Tokyo
, I:
Takeshi Kamamura
, Ü:
Yuko Yamamoto
20.3.2009
, I:
Mellika Melouani Melani
, Ü:
Magnus Lindman
11.3.2011
, I:
Samuel Schwarz
19.3.2011
, I:
Mirja Biel
21.10.2011
, I:
Hermann Schmidt-Rahmer
7.10.2012
, I:
Sylvia Sobbotka
11.3.2014
Statens Scenekunstskole
, Kopenhagen
, I:
Liv Helm
, Ü:
Arjuna Tomassen
21.9.2018
, I:
Eva Lange
(Titel: Maria Stuart/Ulrike Maria Stuart; gemeinsam mit Friedrich Schillers Maria Stuart)
2007 wurde Jelinek für
Ulrike Maria Stuart
von der Zeitschrift
Theater heute
zur „Dramatikerin des Jahres“ gewählt.
Jelineks Essay
Mein Schiller (2004)
Jelineks Essay
o. T. (über Ulrike Maria Stuart) (2007)
Jelineks Essay
Ulrike Marie Meinhof (2008)
Jelineks Essay
Der Text-Engel (Dramaturgen) (2011)
Leonhard Koppelmanns Hörspielbearbeitung
Ulrike Maria Stuart (2007)
Sonja Anders:In den Prinzessinnendramen zeigen Sie Frauen stets als „Objekte“. Mit
Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin (bzw. Maria Stuart und Elisabeth) verschieben Sie den
Akzent; weibliche „Subjekte“, die Geschichte machen, sind das Thema. Können Sie erklären,
was Sie damit meinen: Wann ist Frau Objekt, wann ist sie Subjekt ihrer Handlungen? Und:
Worin drückt sich, sofern er denn existiert, der Subjektstatus Ulrike Meinhofs und Gudrun
Ensslins aus? Elfriede Jelinek: […] Die Prinzessinnen sind vielleicht eine weibliche Lebensmüllhalde,
aber der Müll besteht aus Gegenständen, die nicht fertiggeworden und vorzeitig
weggeschmissen worden sind. Sie sprechen davon, was hätte sein können
oder was wäre wenn… Berühmte Dichterinnen, die geglaubt hatten, Königinnen ihrer
Kunst, ihrer Familie, der Männer, des Heims zu sein, werden zu Schrott, und sie
wissen es. Die Königinnen dagegen sind, ob sie es wollen oder nicht, Subjekte von
Geschichte. Sie haben diesen Status, entweder durch Geburt (die historischen Königinnen
Maria Stuart und Elisabeth I.) oder durch ihren leidenschaftlichen Wunsch,
sich zu Subjekten der Geschichte zu machen, als „angemaßte“ Königinnen. […] In
der RAF haben die Frauen die Macht an sich gerissen, jede auf ihre Weise, beide waren sie Mütter und haben ihre Kinder verlassen, aber sie haben die Geschlechtsrolle
nicht verlassen. Die Königin Gudrun hat neben ihrem Kinderkönig Andreas
geherrscht, Ulrike (von der der ehemalige BKA-Chef Herold behauptet, erst ihr Eintritt
in die RAF habe diese für die Intellektuellen, die linke bürgerliche Intelligenz
– auch wenn sie sich damals nicht als bürgerlich gesehen hat, war sie es doch – sozusagen
salonfähig gemacht, zu etwas, für das man sich offen engagieren konnte)
hat ihre Weiblichkeit offenbar bewusst hintangestellt (in diesem Sinne war sie mehr
Elisabeth als Gudrun Ensslin, meine Elisabeth, die ja die sieghafte Herrscherin ist).
Was mich aber noch mehr interessiert hat, ist die Differenz, die Kombination mit
den historischen Königinnen, die ja immerhin die Schiller’sche Sprachleidenschaft
beisteuern, das Stück ist ja zur Gänze in gebundener Sprache geschrieben. Schiller
ist also der Rhythmusgeber, die Rhythmusmaschine. Diese Spielformen weiblicher
Herrschaft (nur bei der historischen Elisabeth hat das zu einem „natürlichen“, nicht
gewaltsamen Tod geführt, aber sie hatte natürlich diese entsetzliche Kindheitserfahrung,
dass ihre Mutter geköpft worden ist), die alle in den Tod führen, weil politische
Herrschaft für eine Frau immer Überschreitung ist, schon indem ihre Weiblichkeit
in der Herrschaft überhaupt thematisiert wird (bei Männern ist der Herrschaftsanspruch
selbstverständlich), die habe ich festzuhalten versucht. […] Welcher Konflikt zwischen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin hat Sie interessiert? Was
macht ihn auf Maria Stuart und Elisabeth übertragbar? Also da müsste ich einen ganzen Roman schreiben, um das zu beantworten. Es geht,
wie gesagt, um zwei Frauen, die sich zu Protagonistinnen von Geschichte erklärt
haben. In Schillers Stück durch königliches Geburtsrecht, in der RAF sind es selbstermächtigte
Herrscherinnen (oder solche, die sich vom „Volk“ ermächtigt fühlen!),
die glauben, die Geschichte in die Hand nehmen zu müssen. Es gibt da aber unzählige
Facetten der Persönlichkeiten dieser beiden Frauen.
Grundsätzliches, mit einem schönen Gruß, einem gehörigen Schuß von der Autorin: Ein Problem wird sein,
daß die fast immer „gebundene“ Sprache des Textes (Jamben, Trochäen) eine „Höhe“ herstellt, die unbedingt konterkariert
werden muß von der Regie. Die Figuren müssen sozusagen fast jeden Augenblick von sich selbst zurückgerissen werden, um
nicht mit sich selbst ident zu werden. Der Gegenstand, sie selbst, zu dem sie immer wieder zurückkehren wollen, obwohl
sie ihn selber gemacht haben und wissen müßten, daß er ihr eigenes Konstrukt ist, ein schiefes, schlecht zusammengezimmertes
Brettergerüst, muß vielfältig gebrochen werden wie die Äste eines Baumhauses, wo das Ganze übrigens gut spielen könnte,
denn diese Figuren sind ja nicht „sie selbst“, sondern, nein, auch nicht einfach die berühmten, mir inzwischen längst
lästigen Sprachflächen, sondern Produkte von Ideologie. Das muß also so inszeniert werden, daß die Figuren quasi neben
sich selber herlaufen, daß eine Differenz erzeugt wird, und zwar von ihnen selber. Es steht nicht der reine Mensch vor uns,
sondern seine Absonderung und seine Absonderlichkeit, wie Gestank, der ihn umweht; es darf keinesfalls vornehm oder dichterisch sein,
es muß alles runter runter runter. Runter die Hosen, runter die Röcke! Die Königinnen können über ihrer Kleidung etliche schmutzige,
befleckte Unterhosen tragen, die sie sich runterreißen, das ist nur ein Beispiel. Sie müssen auf erschreckende Weise, aber auch komisch,
bis ins Groteske hinein (man denke in der Bildenden Kunst an Mike Kelley und Paul McCarthy!, dessen riesige Köpfe,
die sie verkehrt aufgesetzt haben, so daß sie sich selber huckepack tragen, denn sie sind ja nicht sie selber, sie tragen sich,
aber eben: verkehrt rum) mit sich selber den Boden aufwischen, auf dem sie nicht stehen können, denn sogar der ist ja schief,
sie krallen sich an, fallen aber doch immer wieder runter und werden im Lauf der Handlung nicht reiner, sondern dreckiger.
Und sogar der Dreck rutscht ab (und die DarstellerInnen an ihm). Die Figuren können mit allem, was sie haben, aufeinander losgehen,
vor allem mit sich selbst. Ich möchte, daß Chaos, Schmutz, Unordnung zurückbleiben und daß das Schöne oder Hohe von Idealen uns
sukzessive verläßt, bis sogar die Ironie am Schluß verschwindet (tut sie sowieso) und die Figuren vor sich selbst das Weite suchen,
das aber nur eine Zelle und ein Strick aus Handtuchfetzen ist. In der Höhe der Ideologie, die ja falsch ist und eine Lüge,
das ist ihre genetisch einprogrammierte Eigenschaft – dafür kann sie nichts, deswegen wird sie nie unschuldig sein, und das
will sie ja auch nicht, dagegen arbeitet sie an, gegen die Unschuldigkeit – in der Höhe der Ideologie, aus der die Figuren
sich er-lesen haben, ist dann nur noch ein Fensterkreuz, an dem man den Handtuchstrick festknoten kann. Und irgendwas rennt
aus den Figuren auf und davon. Es sucht eben: das Weite, aber das gibt es nicht, es soll sehr hermetisch wirken, mit Dreck
und Gestank und allem, was dazugehört. Die sollen sich in ihrer eigenen Scheiße wälzen! Also.
Ulrike Maria Stuart wurde aus Anlass von
Schillers
200. Todesjahr geschrieben und verbindet die Figuren Maria Stuart und Elisabeth von England aus
Schillers
Maria Stuart mit dem Konflikt der beiden RAF-Mitglieder
Ulrike Marie Meinhof
und
Gudrun Ensslin
. Nach den
Prinzessinnendramen Der Tod und das Mädchen I-V
, die die
Frau
in Bezug auf den
Mann
thematisieren, zeigt Jelinek im Königinnendrama Ulrike Maria Stuart Frauen, die als Subjekte der Macht und der Geschichte fungieren wollen.
Der Text ist in drei Teilstücke gegliedert und zu großen Teilen in Jamben und Trochäen verfasst. Neben Ulrike und Gudrun werden noch weitere Personen bzw. Chöre als SprecherInnen genannt: Die Prinzen im Tower, Chor der Greise, Ein versprengter Engel aus Amerika und Die Königin. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:
„Die Götter:
Schiller
,
Shakespeare
,
Büchner
,
Marx
Dann die übrigen, die Originaltexte und -kassiber der RAF und ihres Umfelds, Briefwechsel
Gudrun Ensslins
(‚Zieht den Trennungsstrich, jede Minute‘),
Stefan Aust
,
Butz Peters
,
Albrecht Wellmer
und sehr viele andre mehr.“
Ausgehend von den Konflikten innerhalb der RAF (
Rote-Armee-Fraktion
) reflektiert der Text die Ereignisse des Deutschen Herbstes 1977 (
Deutschland
) und das Spannungsfeld von politischem Widerstand (
Politik
),
Terrorismus
und
Gewalt
aus gegenwärtiger Sicht.
Jelinek verfügte zunächst, dass der Text, der vom 27. bis 28.2.2006 auf ihrer Website war, nicht veröffentlicht wird und ausschließlich als Theatertext rezipiert werden sollte. Vor und nach der Uraufführung gab es Versuche, die Aufführung durch rechtliche Schritte zu verhindern. Die Tochter
Ulrike Meinhofs
, die Publizistin
Bettina Röhl
, protestierte dagegen, dass Jelinek ihre Persönlichkeitsrechte verletzen und die historischen Fakten verzerren würde, und drohte mit Klage. Die Angelegenheit wurde nach Gesprächen der Anwälte beider Seiten beruhigt.
Die Schriftstellerin
Marlene Streeruwitz
klagte das
Thalia Theater Hamburg
wegen der Darstellung ihrer Person als Vagina in
Nicolas Stemanns
Uraufführungs-Inszenierung. Darin führen Jelinek und
Streeruwitz
, dargestellt von Schauspielerinnen, als sprechende Vaginas einen Dialog, in dem Ausschnitte aus einem
Interview (1997)
der beiden Autorinnen aus der Zeitschrift
Emma
verwendet werden.
Streeruwitz
’ Klage wurde abgewiesen.