Die endlose Unschuldigkeit

Matthaei, Renate (Hg.): Trivialmythen. Frankfurt am Main: März 1970

Abdrucke

auch in:

 

Über die „Mythen“ des Alltags und der

Pop-Kul­tur

(

Tri­vi­al­my­thos

). Es bestehen thematische und stilistische Bezüge des Essays zu Jelineks Roman

wir sind lock­vö­gel ba­by!

(1970) und ihrem Hörspieltext

Un­ter­gang ei­nes Tau­chers

(1973).

 

gewisse nebulose kenntnisse des realen. beim übergang vom sinn zur form verliert das bild wissen und zwar um besser das des begriffs aufzunehmen. allerdings ist das im mütischen begriff enthaltene wissen äußerst konfus aus unbestimmten unbegrenzten assoziationen gebildet (roland barthes). träumt es sich in sauberer bettwäsche freundlicher? vielleicht. aber gesünder und angenehmer schlafen wir in sauberen betten bestimmt. und wo es über den trivialbereich hinausgeht (was eigentlich nicht hierhergehört): die lehre vom mütos kann als eine teorie der revolution gelten (hans barth). ich spreche davon weil keine derartige untersuchung unpolitisch geführt werden kann. die antwort auf die frage nach einer möglichen geschichtlich wirksamen zusammenfassung von gruppen zur einheit. stimmt es daher daß weder nützlichkeitserwägungen noch begriffe zur tat aufrufen und ein einheitliches verhalten einer vielzahl bestimmen können? daß kein begriff sondern nur ein bild ein mütos zum aufstand treiben kann? die trivialmüten sind der untergrund auf dem die nachfrage nach dem sozialen mütos wachsen muß der wieder ein ganz wesentlicher faktor jeder massenbewegung ist. mütos und masse gehören zusammen oder besser: durch die gemeinschaftsbildende kraft des mütos wird masse gemacht.

aus: Elfriede Jelinek: Die endlose Unschuldigkeit . In: Matthaei, Renate (Hg.): Trivialmythen. Frankfurt am Main: März 1970, S. 40-66, S. 49-50.

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Essayistische Texte, Reden und Statements