Das Lebewohl

(Les Adieux)

Uraufführung am Ballhausplatz Wien, 2000

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Neue Fassung

Video

  • 7.-15.10.2000

    Für die regierungskritische

    Kul­tur­ka­ra­wa­ne

    durch Kärnten und die Steiermark (7.-15.10.2000) nahm Jelinek ein Video auf, für das sie einen Ausschnitt aus Das Lebewohl las und das im Rahmen der Kulturkarawane gezeigt wurde.

Radio-Lesung

  • Elfriede Jelinek: Das Kommen. 28.4.2017

CD

Je­li­nek, El­frie­de

:

Das Lebewohl (Les Adieux). CD.

Wien

:

Bot­schaft be­sorg­ter Bür­ge­rIn­nen

2001

.

Live-Mitschnitt der

Ur­auf­füh­rung am Wie­ner Ball­haus­platz

. Die CD war eine Benefizaktion für die Botschaft besorgter BürgerInnen.

Je­li­nek, El­frie­de

:

das lebewohl. es liest karsten rühl. CD.

Kla­gen­furt

:

ra­dio AGO­RA ei­gen­ver­lag

2003

.

Studioproduktion von

Kars­ten Rühls

Lesung. Die CD war eine Benefizaktion für

Ra­dio AGO­RA

.

 

Anlass für Das Lebewohl war

Jörg Hai­ders

(

Hai­der, Jörg

) Rücktritt als FPÖ-Obmann und sein Rückzug aus der österreichischen Bundespolitik (

Po­li­tik

) nach Kärnten nach Bildung der Regierungskoalition zwischen ÖVP und FPÖ (

Frei­heit­li­che Par­tei Ös­ter­reichs

) im Jahr 2000. In der Regiebemerkung zu Beginn wird der Text als „ Haidermonolog “ bezeichnet. Der Text weist keine Einteilung in Szenen, Absätze oder Angaben zu Zeit und Ort auf. Die einzige Personenangabe am Beginn des Textes ist „Der Sprecher“, dessen Rede sich an eine Gruppe stumm trauernder Knaben richtet. Mit dem Untertitel Les Adieux wird auf

Lud­wig van Beet­ho­vens

Klaviersonate Nr. 26, op. 81a angespielt.

Im Text finden sich Bezugnahmen auf die damalige politische Situation in

Ös­ter­reich

. Neben Angriffen auf politische GegnerInnen und die

Me­di­en

des Landes geht der Sprecher auf die Gründe für seinen Rückzug ein, den Jelineks Text als taktisches Manöver kenntlich macht wie auch

Hai­ders

Ras­sis­mus

,

Frem­den­feind­lich­keit

und die Ausgrenzungsmechanismen der FPÖ, von denen auch die Frauen (

Frau

) betroffen sind. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes vorangestellt:

„Dank an ‚

news

‘,

Aischy­los

(‚Die Orestie‘), übers.

Wal­ter Jens

Jelinek benutzte für ihr Stück

Hai­ders

Text Glücksgefühl nach bangen Stunden , den er zu seinem Rückzug verfasst hatte und der u.a. in

News

veröffentlicht worden war. Die Textpassagen

Hai­ders

wurden mit bearbeiteten Zitaten aus der Orestie des

Aischy­los

(

An­ti­ke

) verschränkt. Ein Motiv, mit dem u.a. die Figur des Orest und

Hai­der

aufeinander bezogen werden, ist die Rache für den

Va­ter

und damit für die Vätergeneration, die für den

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

verantwortlich waren.

Die Uraufführung auf dem Wiener Ballhausplatz am 22.6.2000 (also in der Zeit von Jelineks Aufführungsverbot für Staatstheater), veranstaltet von der Botschaft besorgter BürgerInnen, war der Auftakt der wöchentlichen Donnerstagsdemonstration (

De­mons­tra­ti­on

), mit der gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung protestiert wurde. In mehreren fremdsprachigen Inszenierungen des Textes wurden Bezüge zu rechtspopulistischen PolitikerInnen in den jeweiligen Ländern (Italien, den Niederlanden und Schweden) wie z.B.

Sil­vio Ber­lus­co­ni

,

Pim For­tuyn

und

Pia Kjærs­gaard

hergestellt.

Anlässlich der Ergebnisse des ersten Durchgangs der Bundespräsidentenwahl am 24.4.2016, bei dem der FPÖ-Kandidat

Nor­bert Ho­fer

35% der Stimmen erzielte, verarbeitete Jelinek mehrere Textpassagen aus Das Lebewohl zu Das Kommen. Darin nimmt sie Bezug auf das Wahlergebnis,

Ho­fers

Wahlkampf, die notverstaatlichte Kärntner Hypo Alpe Adria Bank, den Umgang mit Flüchtlingen in Österreich und ihren Theatertext

Die Schutz­be­foh­le­nen

und die Störung der Aufführung durch die Identitären. Im Anschluss an den Text finden sich auf Jelineks Website Informationen über die Bedeutung der von

Ho­fer

bei seiner Angelobung im Nationalrat getragenen Kornblume in der antisemitischen Schönerer-Bewegung und als Erkennungszeichen der illegalen Nationalsozialisten in Österreich.

 

Pia Janke:„Das Lebewohl“ ist ein Theatertext zur aktuellen politischen Lage Österreichs. War es Ihre Intention, literarisch möglichst rasch auf die politischen Entwicklungen zu reagieren, und läuft man mit so einem schnellen Text nicht Gefahr, das Ästhetische zugunsten einer vereinfachenden politischen Stellungnahme zu vernachlässigen?

Elfriede Jelinek: Ich schreibe alle meine Texte immer sehr schnell. Es ist eine Methode, mit raschen Strichen etwas von außen zu umkreisen und einzufangen. Dieser spezielle Text ist keine politische Stellungnahme, sondern, wie immer bei mir, weil ich unfähig bin, etwas sozusagen „auf den Punkt zu bringen“, wie es z.B. Antonio Fian mit seinen Dramoletten tut, eine Zustandsschilderung. Wir können da natürlich keine Realismusdebatte führen, aber ich bemühe mich schon, für bestimmte Inhalte auch spezifische ästhetische Methoden zu finden, die aber immer von der Sprache selbst ausgehen. Etwas „beim Genick“ zu fassen, also gedanklich zuzuspitzen, das kann ich nicht. Ich muss es aus der Sprache selber entstehen lassen, und mit diesen Aufzeichnungen Haiders hat sich mir die Sprache ja wirklich in die Hand gegeben, ein Geschenk des Himmels, so etwas bekommt man nicht oft. [...]

Es scheint, als würde es in Ihrem neuen Theatertext, im Gegensatz zu anderen, eine wirkliche, greifbare Figur geben. Lässt sich dieses „Ich“ als Jörg Haider definieren?

Notgedrungen kann man dieses Ich als Haider definieren, er hat ja die eine Sprachebene vorgegeben, er läuft sozusagen als Orgelpunkt immer mit, egal, was gesagt wird. Vielleicht ist das ja ein echter Bühnenmonolog, im Gegensatz zu meinen andren Monologen, die meist viel künstlicher sind, abstrakter, und bei denen das Denken führt, oft in Form von Montagefetzen – ich literarisiere sozusagen Theorie – aber nicht das wirkliche Nachdenken über etwas. Der Text markiert eine Zeitenwende.

Sehen Sie die Situation in Österreich heute als Anbruch einer neuen Zeit? Es handelt sich bei all dem, was jetzt passiert, doch nicht um völlig neue Entwicklungen.

Ja, Zeitenwende... es ist vielleicht ein hochtrabender Ausdruck, zu pathetisch, aber es ist etwas geschehen, das niemand von uns für möglich gehalten hätte. Dass gerade in einem der Täterländer die extreme Rechte wieder an die Macht kommt. Es ist zumindest mir unvorstellbar erschienen, dass das möglich sein könnte. Aber gerade indem man es mit der Zeitenwende, die Aischylos’ Atridendrama markiert, zusammenbringt, entfaltet es seine ganze Lächerlichkeit und Banalität und dadurch vielleicht noch mehr Schrecken, als wenn man es in der Banalität beließe. Es ist, frei nach Marx, Tragödie und Farce in einem. Man greift zu kurz, wenn man es nur eine Farce nennt, weil es natürlich auf den ersten Blick danach aussieht, aber es ist eben auch eine Tragödie.

aus: Pia Janke: Tragödie und Farce in einem. In: Der Standard, 17./18.6.2000.

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