Redakteur: Wenn ich Ihnen gesagt habe, ich wünsche mir bei diesem Film die naturgetreue Beschreibung einer Landschaft, so habe ich damit nicht einen tendenziösen Bericht gemeint.
Wenn ich Ihnen eingangs gesagt habe, ich möchte einen kritischen Film, so habe ich damit nicht einseitige Parteinahme gemeint.
Wenn ich Ihnen anfangs gesagt habe, ich erwarte mir eine objektive Schilderung, so habe ich damit nicht etwa gemeint, daß Sie alles so schildern sollen, wie Sie es sehen.
Mit dem Material, das Sie uns hier geliefert haben, begeben Sie sich nur noch weiter in den Elfenbeinturm hinein, aus dem Sie eigentlich herauskommen sollten. Mit diesem Material haben Sie sich selber außerhalb der Gemeinschaft unsrer Fernsehzuschauer begeben, die diese Landschaft so sehen, wie sie wirklich ist, nämlich als ein Wintersportparadies. Sie können sich wohl denken, daß Ihr Filmmaterial für uns in dieser Form leider nicht brauchbar ist.
Autorin: Porträt einer verfilmten Landschaft.
Ansager: Hörstück von Elfriede Jelinek.
Autorin: Das folgende Material stammt zum größten Teil aus Tonbandaufzeichnungen zu einem Fernseh-Feature über eine ursprünglich bäuerliche Landschaft, die sich im Laufe der Zeit zu einer bekannten Fremdenverkehrsgemeinde gewandelt hat. Sämtliche Namen wurden geändert. Bei Firmen- oder Konzernnamen, die im Sprachgebrauch bereits Allgemeingut sind, meinte die Autorin, auf eine solche Änderung verzichten zu können.
Die Gemeinde, die sich Ramshofen am Wetterstein nennt, besitzt eine Breite von 3 km und eine Länge von 18 km. Sie ist demnach von großer Länge und Schmalheit. Im Norden wird die Gemeinde vom Wetterstein begrenzt, sie verläuft im übrigen von Westen nach Osten. Im Westen begrenzt das schmale Steiltal der Maisen, im Süden der Waldsaum der Ramshofener Leitn. Die Höhe der Gemeinde beträgt zwischen 1000 und 1500 Metern. Der Wetterstein hat eine Höhe von 3004 Metern erreicht. Die Talstation der Wetterstein-Seilbahn befindet sich auf einer Höhe von 1700 Metern. Die Straße, welche die Gemeinde für den Fremdenverkehr erschloß, wurde in den Jahren 1908/09 begonnen. Die Gemeinde besitzt 2000 Einwohner. Die Gemeinde hofft, noch in diesem Jahr den einmillionsten Feriengast begrüßen zu dürfen.
Bauer 1: Sie sehen ja selbst, wie wir heute dastehen.
Bauer 2: Gut stehn wir heute da.
Bauer 3: Sie dürfen nicht glauben, daß wir immer so dagestanden sind.
Bauer 4: Seit ich so dastehe, geht es aufwärts, und ich bin immer bereit, noch höher zu steigen. Sie müssen wissen, ich begann ursprünglich als Bauer und Bergführer. Nächstes Jahr eröffne ich mein neues Schwimmbad mit Sauna.
Das Material, das Jelinek für das Drehbuch zum Fernsehfilm
Ramsau am Dachstein
(1976) nicht verarbeiten konnte (großteils Tonbandaufzeichnungen), diente ihr als Grundlage für diesen Hörspieltext. Die Auseinandersetzungen zwischen der Autorin und dem Regisseur
Claus Homschak
bei der Produktion des Films werden im Vorspann des Hörspiels in Form von eingearbeiteten Zitaten aufgegriffen. Die von Jelinek im Film mehrfach gesprochenen Sätze „Das ist eine schöne Landschaft. Schönere Landschaften können aus ihrer Schönheit eher Profit schlagen als weniger schöne. Diese schöne Landschaft hat das rechtzeitig erkannt.“ werden auch im Hörspiel eingespielt. Die Gemeinde Ramsau wird im Hörspiel nicht direkt beim Namen genannt, sondern durch den Ortsnamen Ramshofen am Wetterstein ersetzt.
In pseudo-dokumentarischem Stil werden Informationen über die geographische Lage, die Geschichte und die wirtschaftliche Situation der Gemeinde gegeben. Die Wortmeldungen der Bauern, die vom
Tourismus
profitiert haben und nun im Besitz zahlreicher Hotels, Sport- und Freizeitanlagen sind, werden den Erzählungen der Magd Josefa gegenübergestellt, die von ihrer Kindheit und der Arbeit auf den Bauernhöfen berichtet. Durch die Gegenüberstellung der Profiteure des Tourismus-Booms (
Kapitalismus
) und der
Ausbeutung
der besitzlosen Arbeitskräfte werden die Klassenunterschiede in der bäuerlichen
Gesellschaft
deutlich gemacht. In den Reden der Bauern wird auch eine kaum verhohlene Relativierung der Verbrechen des
Nationalsozialismus
evident. Der Abschnitt, in dem die Magd Josefa zu ihrem 85. Geburtstag interviewt wird, wurde von Jelinek für den Text für das Hörspiel
Die Jubilarin (1978)
überarbeitet und erweitert.