Clara S.

musikalische Tragödie

Uraufführung an den Bühnen der Stadt Bonn, 1982

Personen

CLARA S. ; ROBERT S. ; MARIE; GABRIELE D’ANNUNZIO, genanntCOMMANDANTE; Luisa Baccara; Aélis Mazoyer; Donna Maria di Gallese, genannt Fürstin von Montenevoso; Carlotta Barra; Zwei Irrenwärter(Bullen)

Dazu etliche Dienstmädchen, eine junge Prostituierte aus dem Ort.

Abdrucke

Erstdruck:

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Aufführungen

Weitere Inszenierungen:

 

Der Titel Clara S. bezieht sich auf die Pianistin

Cla­ra Schu­mann

(1819-96), geb. Wieck, die als Frau von

Ro­bert Schu­mann

(

Ehe

) keine weiteren eigenen Kompositionen mehr schrieb. Der Theatertext ist in zwei Teile und einen Epilog gegliedert. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Für die musikalische Tragödie Clara S. wurden u. a. Zitate aus folgenden Werken in den Text eingeflochten:

Cla­ra Schu­mann

: Tagebücher, Briefe

Aé­lis Ma­zoy­er

: Tagebücher

Ria End­res

: Am Ende angekommen“

Die Handlung ist im Jahr 1929 angesiedelt, wodurch mehrere Zeitebenen – die Lebenszeit von

Cla­ra

und

Ro­bert Schu­mann

sowie die des italienischen Autors

Ga­brie­le d’An­nun­zio

, einem Bewunderer

Mus­so­li­nis

und des Faschismus – miteinander verschränkt werden.

Am Beispiel von Clara, die ihre musikalische Karriere für ihren Gatten opferte, wird der Mythos vom männlichen Künstlergenie (

Künst­ler

) und die Herabwürdigung von weiblichem Kunstschaffen (

Künst­le­rin

) im

Pa­tri­ar­chat

sowie die Reduktion der

Frau

auf Mutterschaft (

Mut­ter

) problematisiert.

Ort des Geschehens ist d’Annunzios Villa in Gardone am Gardasee. Clara bittet d’Annunzio um finanzielle Unterstützung für die Kompositionen ihres wahnsinnig (

Wahn­sinn

) gewordenen Ehemanns Robert. D’Annunzio ist jedoch nicht an der

Mu­sik

, sondern an Clara und deren Tochter Marie sexuell (

Se­xua­li­tät

) interessiert. Am Ende erwürgt Clara ihren Ehemann, der in geistiger Umnachtung seine eigene Komposition – die fis-Moll-Sonate – nicht mehr erkennt. Im Epilog steigert sich Clara in zunehmender Raserei in ihr Klavierspiel, bis sie tot vom Hocker sinkt.

Die Uraufführung von Clara S. war für den steirischen herbst 1981 geplant. Der Grazer Schauspieldirektor

Rai­ner Hau­er

sagte die Produktion jedoch aus termingründen ab und begründete nach Protesten seine Entscheidung damit, dass sich der Theatertext einer „Genital- und Fäkalsphäre, oft in perverser und sadomasochistischer Art“ bedienen würde. Die Uraufführung fand 1982 an den

Büh­nen der Stadt Bonn

statt.

 

Für mich waren die in Claras Aufzeichnungen so reichlich vorhandenen Beschwörungen, daß noch keine Frau selbstschöpferisch tätig zu sein vermochte (warum also gerade sie, Clara Schumann?), immer nur verzweifelte Schutzbehauptungen vor dem Postulat der eigenen schöpferischen Phantasie, die, wie ein tauber Ast, zum Absterben verurteilt war. Noch ehe darauf etwas wachsen konnte. Clara muß, um nicht selbst wahnsinnig werden zu müssen ob ihrer versäumten Möglichkeiten, all die Wertvorstellungen der von Männern gemachten Kultur übernehmen, vor allen anderen den obersten Fetisch der bürgerlichen Kunst: die Originalität, die Kühnheit, das Neue, das nur der Mann vermag. Im Stück wird Clara zur Mörderin an ihrem Mann in dem Augenblick, da dieser, in der fröhlichen Freiheit des Wahnsinns, sich über diese ehernen Regeln hinwegsetzt und ein fremdes Werk für sein eigenes ausgibt. Zur vielleicht seltsam anmutenden Konstellation der Personen in diesem Stück: Mir war rasch klar, daß ich, um die komplizierten Zusammenhänge von männlich dominierter Kultur, Sexualität, Macht und Ausbeutung – wieder sexueller wie ökonomischer – exemplarisch (und nur das Exemplarische reizt mich) darzustellen, eine Konstellation von Figuren finden müsse, die sozusagen als Prototypen all dieser Mechanismen repräsentieren. Der Gipfel ökonomischer, kultureller wie, stets damit verbunden, sexueller Macht wird vom faschistischen Dichter Gabriele D’Annunzio, einem berühmten Frauenkonsumenten, en gros und en détail, verkörpert. Natürlich muß zu diesem Zweck eine Art Zeitsprung stattfinden, denn zum Zeitpunkt der Handlung war Robert Schumann weit über ein halbes, Clara fast ein halbes Jahrhundert tot. Um die Sonne D’Annunzio, der eine gelungene Mischung aus Reichtum, Ruhm und Geilheit darstellt, kreisen als Trabanten die Frauenplaneten, die einander entweder seinen körperlichen Besitz neiden, seine ihm hörigen Komplizinnen werden (weil von ihm in jeder Weise abhängig) oder aber von ihm etwas bekommen wollen (Geld, Protektion etc.), was sie wieder nur durch Körperhingabe erlangen können. Die Damen stellen sich dem Meisterdichter als tüchtige und sensible Künstlerinnen vor, und der Dichter will nichts als sie körperlich konsumieren. [...]

Clara, die Priesterin der Kunst ihres Mannes, übt zur Revanche auf ihn, der aus ihr einen „häuslich-gemütlichen“ lebenden Brutofen gemacht hat, mit der Zeit einen immer unmenschlicher werdenden Druck zur genialen Produktion aus. Sie hat ihre Talente geopfert, nun will sie auch etwas dafür haben. Nur als Genie ist ihr Robert real, nur in dieser Rolle vermag sie ihn anzunehmen. Nur für ein Genie ist sie freiwillig in den Schatten der Hausfrau, Mutter und rein darstellenden Künstlerin zurückgetreten. Und so platzt Roberts Schöpferkopf auseinander, entzieht sich dem Postulat des beständigen Schaffens und löst durch dieses Sich-Entziehen, das ja Claras Opfer im nachhinein sinnlos, ja lächerlich macht, die endgültige letzte Katastrophe aus.

aus: Elfriede Jelinek: Über Clara S. In: Programmheft der Bühnen der Stadt Bonn zu Elfriede Jelineks Clara S. , 1982.