Darauf sind wir auch noch stolz: daß keiner weiß, wo er ist, unser Ball, unser Gral! Wir wissen nicht, wo er ist. Aber solange ihn eine andre Mannschaft hat,
ist er nicht unser. Trotzdem sagen wir es dem Trainer. Beim nächsten Mal holen wir ihn uns ab! Wir holen ihn nach Hause. Obwohl wir gar nicht wissen,
wo das Heil ist und wo das Heim ist, sagen wir dem Trainer den Ort, wo er es findet. Das eine hier, das andre dort. Das Heil ist nie dort, wo das Heim ist.
Das Heil ist immer nur dort, wo wir daheim sind. Wie, dort ist er nicht, der heilige Gral? Dann suchen Sie halt wo anders! Der Gral ist das, was alle suchen,
aber nur wir haben ihn! Wir haben ihn zumindest bald! [...] Gehen Sie dorthin, wo alle suchen, und dort suchen auch Sie! Wir suchen ihn, indem wir ihn haben,
bevor ihn ein anderer erwischt. Bis zum nächsten Jahr haben wir ihn jetzt einmal sicher! Nein, wir haben ihn nicht. Andre haben ihn. Jeder weiß, wo er jetzt ist,
dieser begehrte Pokal, in dem unser Herzblut aufgefangen wurde. Diese Schale für unser schales Blut.
aus: Elfriede Jelinek: Sportchor. In: Programm des Deutschen Theaters Berlin zu Elfriede Jelineks Sportchor , 2006.
Anlass für die Dramatisierung war die 2006 in Deutschland veranstaltete Fußballweltmeisterschaft. Während der Hörspieltext als Monolog für 11 Personen (einen Sportphilosophen, einen Medienbeobachter, einen Manager, einen Fan und sieben Spieler) konzipiert ist, spielte in der szenischen Fassung am
Deutschen Theater Berlin
ausschließlich der Schauspieler
Stefan Kaminski
. Er befand sich auf der Bühne in einem durchsichtigen Würfel aus Plexiglas. Während der Aufführung wurde über einen Fernsehbildschirm ein Fußballspiel ausgestrahlt. Im Mittelpunkt stand die kritische Reflexion des Massenphänomens
Sport
und die Rolle der
Medien
bei dessen Vermittlung und Verbreitung.