Elfriede Jelinek: Meine Sache ist es sowieso nicht, zu dokumentieren, meine
Sache ist es, literarisch zu verarbeiten. Ich würde weder das eine noch das andere
machen. Mich interessiert, wie sich die Dinge in der Sprache niederschlagen, mich
interessiert bei allem die Sprache, bei mir werden die Sachen dann zwei oder drei
Mal gebrochen, ich bin keine Dokumentaristin. Ich verwende schon recherchiertes
Material, aber es wird durch die Maschine meiner Sprache gewurschtet, und dann
erkennt das keiner wieder. Bei „Burgtheater“ war das ein ähnliches Problem. Wie
kann ich das jetzt überhaupt verarbeiten? Die sechs Millionen und die Täter. Ich
habe das wirklich nur mit Sprache gemacht. Dein Zugang ist eben ein anderer, du
hast eben das Bild.
Ruth Beckermann: Film ist ja beides und mehr. Das Problem beim Film ist für mich
seine Tendenz zum Naturalismus und Realismus. Dagegen muß man kämpfen,
indem man sich diesen langweiligen Formen widersetzt. Du hörst zum Beispiel selten
was anderes als einen realisitischen Ton. Der Ton paßt zum Bild, keiner muß sich
was denken, alles ist bieder und einfach. Mich interessiert eine Gratwanderung
zwischen Dokumentarfilm und anderen Formen.
aus: Ruth Beckermann: Ein Gespräch . In: Programm des Wiener Stadtkinos zu Ruth Beckermanns Film Die papierene Brücke, 1987.
Jelinek spricht mit
Ruth Beckermann
über deren Film Die papierene Brücke und das
Judentum
. Sie bewundert an dem Film, dass er versuche, „ein individuelles Schicksal darzustellen innerhalb eines Volkes, das eigentlich keines mehr haben dürfte angesichts [...] dieser wahnsinnigen Masse an Toten“. Diskutiert wird das Spannungsfeld von Wirklichkeit und Künstlichkeit, Sprache und Bild im Dokumentarfilm und die Thematisierung von
Antisemitismus
und Holocaust (
Judenvernichtung
,
Nationalsozialismus
) in der Kunst.