Elisabeth Hirschmann-Altzinger: Die Stücke von Oscar Wilde bestechen durch ihre brillanten Dialoge, während Sie in Ihren Theatertexten auf Dialoge verzichten. Wo liegt da die Gemeinsamkeit? Oder suchen Sie das Gegensätzliche?
Elfriede Jelinek: Das Gegensätzliche. Da ich selber derzeit keine Dialoge schreibe [...], ziehe ich mir die von einem andren an, wie ein Kleid für einen bestimmten Anlaß. Und kaum einer hat meisterhaftere Dialoge geschrieben als Wilde in seinem Genre. Ich führe sie in die Künstlichkeit der Wahrheit (die ja immer künstlich ist, weil es sie als eine für alle, gar nicht gibt) wieder zurück, das heißt, ich verstärke diese Künstlichkeit, die bei Wilde aber natürlich schon angelegt ist.
Wildes Gesellschaftskomödie steht in der Tradition der (nicht so tiefgehenden) englischen Comedy of Manners. Wie sehr ist daraus ein Jelinek-Text geworden?
Wir finden beide Oscar Wilde durchaus sehr tiefgehend. Die Schnittfläche besteht ja nicht nur zwischen den Figuren und den Figuren und dem Publikum, sondern auch zwischen Wildes Leben und den Texten. Dieses Leben der Klandestinität und Heimlichkeit [...] hat bei ihm diese Doppelbödigkeit der Sprache hervorgebracht, die sehr tief geht, mitten in die eigenen Wunden hinein, und dann wird dort herumgebohrt und Salz hineingeschüttet. Das ist ein sehr ernster Vorgang bei aller Heiterkeit. Ich halte also die Wunde offen und drücke dann sozusagen den Eiter heraus an die Oberfläche: Wir versuchen gleichzeitig zu zeigen, warum Wilde das zu seiner Zeit so nicht sagen konnte. Wir verstärken das.
aus: Elisabeth Hirschmann-Altzinger: „Wer hören will, der höre“ . In: Bühne 2/2005, S. 32-33, S. 33.
Über
Oscar Wilde
, sein Leben und seine
Homosexualität
, über seine Dramatik und Figuren, die Übersetzung von
Ernst ist das Leben (Bunbury)
und das Übersetzen im Allgemeinen. An Wildes Texten interessiere sie „die Doppelbödigkeit der Sprache“, in der die Wahrheit „nicht durch die Blume, sondern durch ihr eigenes Gegenteil, die Lüge“, gesagt wird, woraus „ein höchst moralischer Anspruch“ entsteht. Auch kurz über ihre Übersetzung von
Marlowes
Der Jude von Malta
.