Joachim Lux: Ausgangspunkt Ihres Stückes ist ein lokaler, österreichischer Fall. Zeigt sich
in ihm in nuce, was jetzt wirtschaftlich auf der ganzen Welt geschieht?
Elfriede Jelinek: Der österreichische Fall ist ja auf absurde Weise global, er ist eine
Parodie auf den Global Player, als der sich jeder fühlen kann, der da sein erspartes
Geld auf die Hausbank trägt, von wo es sofort in die Karibik transferiert wird, an Orte, wo der ursprüngliche Besitzer des Geldes wahrscheinlich noch nie war. Man
gehört sozusagen zu einer beinahe religiösen Gemeinde und wird doch nur ausgenommen.
Warum wollten Sie zu diesem Fall Stellung nehmen? Meist tun sich Autoren mit der Darstellung
wirtschaftlicher Verhältnisse schwer.
Ich verstehe nichts von Wirtschaft oder nicht viel, aber gerade das ist mir reizvoll
erschienen, denn ganz offensichtlich versteht die Masse der Geschädigten, die ihr
Geld verloren hat, auch nicht viel mehr davon. Ich wollte, wie fast immer in meinen
Stücken, die Sprache von der Leine lassen und schauen, in welchen Winkeln sie
schnüffelt und was sie von dort aus dem Schmutz und Staub zutage fördert. Was
mich interessiert, ist das plötzliche Auftauchen immer neuer Fragen und Infragestellungen
des Kapitalismus, der doch gesiegt hat und seither sakrosankt ist, in der
veröffentlichten Meinung, und das Komische an diesem österreichischen Fall [...]
ist eben die Parodie der Verdrängung, also die Verleugnung des Offensichtlichen,
nämlich des „guten“ Namens, mit dem die Anleger angeworben wurden. [...]
Sie nennen das Stück eine „Wirtschaftskomödie“. Was ist am Bankrott zahlloser Firmen,
dem Zusammenbruch der Börsen, den Verlusten der Kleinanleger und der vermutlich im
Jahr 2009 steigenden Arbeitslosigkeit „komisch“?
Die Dialektik zwischen dem Offensichtlichen und dessen Verdrängung und Verleugnung,
insbesondere der Beglaubigung eines Wertpapiers durch einen berühmten
Namen, unter den man dann seinen eigenen, viel kleineren Namen setzen
darf, und damit hat man dann Papiere als mündelsicher und mit Profitgarantie
erworben, die nichts als impotente Zertifikate sind, die man als solche nicht, wie
es sich in diesen Kreisen eigentlich gehören würde, mit ihrem richtigen Namen
vorgestellt bekommen hat. Man setzt seinen unwichtigen Namen also, im Namen
eines Namens, mit dem man sich gern identifizieren würde, unter das, was einem
Gewinn garantiert, aber den totalen Verlust bringt. Das kann bei aller persönlichen
Tragik schon auch sehr komisch sein. Andererseits aber eben in eine echte Tragödie
münden (alle guten Komödien sind nur haarscharf von der Tragödie entfernt), in
Mord, Selbstmord, Verzweiflung.
aus: Joachim Lux: „Geld oder Leben! Das Schreckliche ist immer des Komischen Anfang.“ Elfriede Jelinek im
Email-Verkehr mit Joachim Lux. In: Programmheft des Schauspiel Köln zu Elfriede Jelineks Die Kontrakte des
Kaufmanns , 2009.
E-Mail-Wechsel über das neue Stück
Die Kontrakte des Kaufmanns
, die
Wirtschaftskrise
und die Finanz-Skandale in
Österreich
, über ihr schnelles Reagieren auf solche Ereignisse, die Gier der Menschen und über die Sprache als „das verlogenste und gleichzeitig unbestechlichste Mittel im menschlichen Zahlungsverkehr“. Von besonderem Interesse sei für sie „das plötzliche Auftauchen immer neuer Fragen und Infragestellungen des Kapitalismus, der doch gesiegt hat und seither sakrosankt ist“ (
Kapitalismus
).