Die Schutzbefohlenen

Uraufführung am Festival Theater der Welt Mannheim, 2014. Foto: Christian Kleiner

1. Fassung

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Zusatztexte

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Coda

1. Fassung:

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Europas Wehr. Jetzt staut es sich aber sehr! (Epilog auf dem Boden)

1. Fassung:

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Philemon und Baucis

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CD

CD

Jelinek, Elfriede: Die Schutzbefohlenen. Coda . 2 CDs. München: belleville Verlag Michael Farin 2017. (auf CD 1: Lesung Jelineks aus

Die Schutz­be­foh­le­nen, Ap­pen­dix

, auf CD 2: Lesung Jelineks aus

Die Schutz­be­foh­le­nen, Co­da

)

CD-Produktion von Jelineks Radio-Lesung von Die Schutzbefohlen, Appendix und Die Schutzbefohlenen, Coda , gesendet am 30.1.2016 in BR 2.

Aufführungen

Weitere Inszenierungen:

 

Ursprünglich verfasste Jelinek

Die Schutz­be­foh­le­nen

für das Projekt Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine von Nicolas Stemann bei den Wiener Festwochen 2013, der Text wurde aber von Stemann in diesem Rahmen nicht verwendet.

Der Theatertext ist durch Absätze und Leerzeilen gegliedert und nicht auf SprecherInnen aufgeteilt. Im Titel wird auf Aischylos’ Tragödie Die Schutzflehenden (

An­ti­ke

) Bezug genommen. Ausgehend von der Besetzung der Wiener Votivkirche durch AsylantInnen (

Flucht

) im November und Dezember 2012 thematisiert der Text die Mechanismen des Asylwesens, die Missstände des Asylrechts und die

Frem­den­feind­lich­keit

in

Ös­ter­reich

. Neben den verarbeiteten Intertexten aus Aischylos’ Die Schutzflehenden sind auch Passagen aus der Broschüre Zusammenleben in Österreich des Bundesministeriums für Inneres (Staatssekretariat für Integration) eingearbeitet. Der euphemistischen Verwendung von Begriffen wie „harmonisches Miteinander“, „Werte“ und „gemeinsamer Wohlstand“ in der Broschüre wird die lebensbedrohliche Situation der Flüchtlinge entgegengesetzt.

Die Fassung von 14.6.2013 auf Jelineks Website wurde am 8.11.2013 durch Ergänzungen erweitert, in denen auf die Ereignisse vor der italienischen Insel Lampedusa im Oktober 2013 Bezug genommen wird, bei denen rund 300 afrikanische Bootsflüchtlinge ums Leben kamen.

Die Fassung von 8.11.2013 wurde am 14.11.2014 erneut ergänzt. Anlass war die Umstellung des italienischen Programms Mare nostrum, das bis November 2014 für die Überwachung der Küstengewässer zuständig war, auf das von Frontex konzipierte Programm Triton. Dieses Programm wurde dafür kritisiert, sich mehr auf die Grenzsicherung als auf die Rettung von Menschenleben zu spezialisieren (

Po­li­tik

).

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Aischylos: ‚Die Schutzflehenden‘

Bundesministerium für Inneres, Staatssekretariat für Integration: ‚Zusammenleben in Österreich‘

Ovid: ‚Metamorphosen‘

Und eine Prise Heidegger, die muß sein, denn ich kann es nicht allein.“

In der Verschränkung der antiken Quellen mit den aktuellen Ereignissen reflektiert der Text den Umgang mit den in der Kirche Schutz Suchenden und das Verhältnis von Religion und

Po­li­tik

.

In der Hamburger St. Pauli Kirche, in der seit Juni 2013 afrikanische Flüchtlinge untergebracht waren, wurde der Text am 21.9.2013 in einem gemeinsamen Projekt von SchauspielerInnen des Thalia Theaters Hamburg mit den Flüchtlingen in Form einer Urlesung erstmals präsentiert. Eine von Jelinek gelesene Textpassage wurde dabei per Video eingespielt. Für Nicolas Stemanns Uraufführungsinszenierung beim Festival Theater der Welt in Mannheim wurden englische Übertitel angefertigt.

Im Vorfeld der Premiere am Burgtheater wurde am 19.3.2015 im Vestibül das Übersetzungsprojekt DIE, SHOULD SEA BE FALLEN IN

Rezensionen

des VERSATORIUM – Verein für Gedichte und Übersetzen (Leitung: Peter Waterhouse, Nino Idoidze) vorgestellt, das in Zusammenarbeit mit der Regisseurin Ivna Zic und DRAMA FORUM von uniT entstanden war. Grundlage des Projekts waren kurze Passagen aus

Die Schutz­be­foh­le­nen

. Gemeinsam mit AsylwerberInnen, die an der Besetzung der Votivkirche teilgenommen hatten, und Studierenden der Universität Wien wurden Teile daraus auf Englisch, Georgisch, Italienisch, Koreanisch, Pashto, Tuchetisch und Urdu

Übersetzte Werke

performativ interpretiert. Das Projekt wurde danach an weiteren Orten präsentiert.

Unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise verfasste Jelinek im September 2015 zwei Zusatztexte: Appendix thematisiert die Ängste und Verluste der Flüchtlinge, die Wahrnehmung im Fernsehen (

Me­di­en

) und in den sozialen Medien und die Grenzkontrollen innerhalb der EU (

Eu­ro­päi­sche Uni­on

), verbunden mit Bezugnahmen auf die Schlagersängerin Helene Fischer und ihren Hit Atemlos durch die Nacht (

Pop-Kul­tur

) und ein dreijähriges Kind, das während der Flucht verloren ging. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt: „Das Übliche, wie vorhin. Dazu noch eine Prise Freud. Na, den haben wir noch gebraucht!“

Der Zusatztext Coda thematisiert die überfüllten Boote, auf denen Flüchtlinge versuchen, Europa zu erreichen, den desolaten Zustand dieser Boote und den VW-Skandal, bei dem die Dieselwerte von Autos geschönt wurden, um mehr Profit zu erzielen (

Ka­pi­ta­lis­mus

Deutsch­land

). Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt: „Nur ein paar Splitter, wirklich nicht mehr, aus:

Ezra Pound, Die Cantos (übers. von Eva Hesse und Manfred Pfister)

Euripides: Iphigenie in Aulis

Odyssee

Dank auch an Philip Hagmann und dem Deutschen Theater Göttingen.“

Coda wurde am 7.10.2015 in einer überarbeiteten Fassung online gestellt. Ihre Quellenangabe hat Jelinek um „und an Wikipedia mit den vielen Autos!“ ergänzt.

Am 21.12.2015 veröffentlichte Jelinek den Zusatztext Europas Wehr. Jetzt staut es sich aber sehr! (Epilog auf dem Boden) . Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Dank an Rainer Meyer (FAZ), gut, daß es Sie gibt, ich hätte sonst selber fahren müssen. Ansonsten die üblichen Verdächtigen, ich nehme nur die Besten, jawohl, Heidegger, Homer, Horror, Hovid, Hantigone etc.“

Europas Wehr wurde am 4.3.2016 in einer zweiten Fassung mit Passagen über die menschenverachtenden Abfertigungsmethoden von Flüchtlingen in Europa erweitert. Thematisiert wird die Situation an den Grenzen und in den Flüchtlingslagern, die Errichtung von Absperrungszäunen, die Quotenregelung für Flüchtlinge und die Fremdenfeindlichkeit der Politik. Auch auf religiös motivierten

Ter­ro­ris­mus

und auf antiken Europa-Mythos wird Bezug genommen.

Im April 2016 wurde mit Philemon und Baucis ein weiterer Zusatztext auf Jelineks Website veröffentlicht. In dieser Fortschreibung verschränkt Jelinek Philemon und Baucis aus Ovids Metamorphosen mit der Asyl- und Flüchtlingspolitik Österreichs. Auch der Frankenkredit, Griechenlands Wirtschaftskrise und die schleppende Vorgehensweise bei Asylanträgen werden thematisiert. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Na ja, die üblichen Bedächtigen halt. Dazu noch: René Girard: Das Heilige und die Gewalt. Was aber auch üblich ist.“

Bei der Aufführung der Inszenierung von Bernhard Dechant und Tina Leisch am 14.4.2016 im Auditorium Maximum der Universität Wien (mit Flüchtlingen als AkteurInnen) stürmte die rechtsextreme Gruppe Die Identitären die Aufführung, verschüttete Kunstblut und schwenkte Fahnen mit der Aufschrift „Heuchler“. Während der Aufführung am 27.4.2016 im Burgtheater in der Inszenierung von Michael Thalheimer enthüllten Mitglieder der Identitären auf dem Dach des Theaters ein Transparent mit derselben Aufschrift und warfen Flugblätter ab.

2018 erschienen

Die Schutz­be­foh­le­nen

und alle Zusatztexte in einer Buchausgabe im Rowohlt Verlag gemeinsam mit den Theatertexten

Wut

, Ich, ja, echt! Ich. ,

Un­se­res

und Unseres 2.0 . Der zweiten Fassung des Zusatztextes Europas Wehr. Jetzt staut es sich aber sehr! (Epilog auf dem Boden) hatte Jelinek auf ihrer Website einen mit 4.3.2016 übertitelten Textabschnitt hinzugefügt. In der Buchausgabe ist dieser Text unter dem Titel Ende (4.3.2016) als eigenständiger Zusatztext abgedruckt.

Für das Libretto des inszenierten Konzerts Lab.Oratorium (für zwei Schauspieler, Sopran, Mezzosopran, Kammerchor, Großer Chor, Live-Elektronik und Orchester), das Philippe Manoury und Nicolas Stemann erarbeiteten, wurden Textpassagen aus Jelineks

Die Schutz­be­foh­le­nen

verwendet, die Komposition stammt von Manoury. Die Uraufführung fand in der Inszenierung von Stemann im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg am 27.5.2019 im Großen Saal der Elbphilharmonie statt (zu sehen auf: https://www.youtube.com/watch?v=bXuPtygIK_A (1.8.2019). (= YouTube)).

 

Wir leben. Wir leben. Hauptsache, wir leben, und viel mehr ist es auch nicht als leben nach Verlassen der heiligen Heimat. Keiner schaut gnädig herab auf unseren Zug, aber auf uns herabschauen tun sie schon. Wir flohen, von keinem Gericht des Volkes verurteilt, von allen verurteilt dort und hier. Das Wißbare aus unserem Leben ist vergangen, es ist unter einer Schicht von Erscheinungen erstickt worden, nichts ist Gegenstand des Wissens mehr, es ist gar nichts mehr. Es ist auch nicht mehr nötig, etwas in Begriff zu nehmen. Wir versuchen, fremde Gesetze zu lesen. Man sagt uns nichts, wir erfahren nichts, wir werden bestellt und nicht abgeholt, wir müssen erscheinen, wir müssen hier erscheinen und dann dort, doch welches Land wohl, liebreicher als dieses, und ein solches kennen wir nicht, welches Land können betreten wir? Keins. Betreten stehn wir herum. Wir werden wieder weggeschickt. Wir legen uns auf den kalten Kirchenboden. Wir stehen wieder auf. Wir essen nichts. Wir müssen doch wieder essen, wenigstens trinken. Wir haben hier so ein Gezweig für den Frieden, so Zweige von der Ölpalme, nein, vom Olivenbaum haben wir abgerissen, ja, und das hier auch noch, alles beschriftet; wir haben sonst nichts, wem dürfen wir ihn bitte überreichen, diesen Stapel, wir haben zwei Tonnen Papier beschrieben, man hat uns natürlich dabei geholfen, bittend halten wir es nun hoch, das Papier, nein, Papiere haben wir nicht, nur Papier, wem dürfen wir es übergeben? Ihnen? Bitte, hier haben Sie es, aber wenn Sie nichts damit anfangen, müssen wir das alles noch einmal kopieren, noch einmal ausdrucken, das ist Ihnen doch klar? O droben ihr Himmlischen, wir falten fromm die Hände, ja, ihr seid gemeint, schaut nur herab!, wir beten zu euch, ja, ihr, denen die Stadt und das Land und die leuchtenden Wasser der Donau wohl und auch ihr Schwerstrafenden in den Behörden noch wohler gehört: Ihr sagt uns einmal dies, und dann sagt ihr uns das, und nichts können wir gerecht werden, doch gerecht seid ihr ja auch nicht, ihr Engel plus du, lieber Himmelvater. Was sollen wir machen gegen euch?, ihr dürft alles, ihr könnt alles. Sie hier: Können Sie uns bitte sagen, wer, welcher Gott hier wohnt und zuständig ist, hier in der Kirche wissen wir, welcher, aber es gibt vielleicht andere, woanders, es gibt einen Präsidenten, einen Kanzler, eine Ministerin, so, und es gibt natürlich auch diese Strafenden, das haben wir gemerkt, nicht drunten im Hades, es gibt sie alle gleich nebenan, zum Beispiel dich, wer auch immer, dich, wer auch immer du bist, du, du, Jesus, Messias, Messie, egal, der du das Haus, das Geschlecht, alle Frommen bewahrst, aufgenommen hast du uns nicht, wir sind ja auch von selber gekommen, in deine Kirche gekommen, als schutzflehender Zug, bitte helfen Sie uns, Gott, bitte helfen Sie uns, unser Fuß hat Ihr Ufer betreten, unser Fuß hat noch ganz andre Ufer betreten, wenn er Glück hatte, doch wie geht es jetzt weiter?

aus: Elfriede Jelinek: Die Schutzbefohlenen. http://www.elfriedejelinek.com/fschutzbefohlene.html (15.7.2014), datiert mit 14.6.2013 / 8.11.2013 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Aktuelles 2013, Theatertexte).