Ein Sportstück

Uraufführung am Burgtheater Wien, 1998. Foto: Burgtheater Wien / Andreas Pohlmann

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Würdigung

1998 wurde Jelinek für Ein Sportstück von der Zeitschrift

Theater heute

zur „Dramatikerin des Jahres“ gewählt.

 

Ein Sportstück besteht aus längeren, SprecherInnen und Chören zugeordneten Texten und ist nicht in Szenen oder Akte gegliedert, weist jedoch einen Zwischenbericht auf, in dem Die alte Frau und Andi sprechen. Die Bühne ist laut Regieanweisung in zwei durch ein „Fanggitter“ getrennte Sphären unterteilt. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Dank u. a. an

Her­bert Jä­ger

(‚Makrokriminalität‘)“

Der Text thematisiert das Massenphänomen

Sport

im Spannungsfeld von

Ge­walt

und

Krieg

. Ein zentraler Bezugstext ist

Eli­as Ca­net­tis

Masse und Macht . Der Aspekt der Masse scheint auch in den in der einleitenden Regieanweisung geforderten „griechischen Chören“ auf. Bei den Personenangaben handelt es sich entweder um nicht näher bestimmte SprecherInnen (Die Frau, Mann, Opfer, Ein anderer Täter, Sportler, Andrer) oder um Figuren, die auf Texte und Mythen der griechischen

An­ti­ke

verweisen (Elfi Elektra, Achill, Hektor). Ein wichtiger Intertext, den Jelinek im Stück verarbeitet, ist auch

Kleists

Penthesilea . Bei der alten Frau und Andi im Zwischenbericht nimmt die Autorin Bezug auf zwei reale Fälle: den Kriminalfall der „Schwarzen Witwe“

El­frie­de Blau­en­stei­ner

, die in den 1990er Jahren mehrere ältere und pflegebedürftige Menschen vergiftete, um an ihr Vermögen zu gelangen, sowie auf den Bodybuilder

An­dre­as Mün­zer

, der 1996 an den Folgen massivem Dopings starb. In beiden Fällen geht es um die Vernichtung des Körpers (

Kör­per

) mittels chemischer Substanzen. Der letzte Textabschnitt, dem die Sprecherinangabe „Die Autorin“ vorangestellt ist, richtet sich in der 2. Person an eine als „Papi“ bezeichnete Vaterfigur (

Va­ter

).

Die Uraufführung am Wiener Burgtheater in der Inszenierung von

Ei­nar Schle­ef

wurde in einer Kurz- und in einer Langfassung gespielt. Schleef arbeitete – wie in der Regiebemerkung gefordert – intensiv mit Elementen des Chores und baute auch weitere Szenen in die Inszenierung ein. Die letzte Textsequenz, in der Die Autorin spricht, wurde von

Schle­ef

selbst gesprochen. Jelinek widmete in der Folge

Ei­nar Schle­ef

ihren Theatertext

Das Werk

(2003). Eine Fortschreibung von Ein Sportstück ist das 2006 erstmals im Bayerischen Rundfunk gesendete Hörspiel

Sport­chor

.

 

 

Peter von Becker:In Ihrem neuen „Sportstück“, das in Einar Schleefs Burgtheater-Inszenierung als heilig-unheiliges Monster dieser Saison beim Berliner Theatertreffen gastiert, kehren Sie zum antiken Chorus zurück und entwerfen riesige monologische Redepartien.

Elfriede Jelinek: Es geht darum, daß der Sport als Organisationsform der größten Banalität auf das Höchste trifft, das es gibt: auf die Form der antiken Tragödie. Im Zusammenprall der größtmöglichen Gegensätze wird durch das Paradoxe hindurch auch wieder etwas Persönliches und Familiäres sichtbar. Das hat wohl auch Schleef angeregt; zumal es hier noch das Mutter-Opfer gibt, ein Mütter-Schlachten: durch mich als Autorin, durch ihn als Regisseur. [...]

Meinten Sie mit Schleefs „Mutterschlachten“ auch die Opferung der Autorin als Mutter des Stücks?

Nein (lacht), er hat aber gleichfalls eine komplizierte Mutter-Bindung. Darüber haben wir nie geredet, aber er hat es in seinem Roman „Die Mutter“ erzählt. Das ist gleichfalls ein Abstraktionsvorgang, so wie ich als Opfer einer Mutter mit ihr hier den Vatermord inszeniere: nochmals ein Sakrileg und eine fast parodistische Gegensetzung. Alles ist ein Spiel um den blutigen Ernst. [...]

Die These Ihres Stückes lautet verkürzt: Sport ist Mord.

Das durchzieht alle meine Bücher: der Haß auf den Sport. Dabei geht’s nicht um den Sport an sich, sondern um Massenphänomene und Gewalt. Kein junger Mann kann in den Krieg ziehen, der vorher nicht Sport getrieben hat. Es geht um die Vergötzung von Körperkräften und die Verachtung intellektueller oder künstlerischer Tätigkeit. Ich habe auch ganz reale Angst vor Sportfanatikern, vor Menschen- und Männermassen. Außerdem haben wir in Österreich eine Rechte, die sich betont sportlich gibt, mit dem derzeit wohl einzigen charismatischen rechten Führer auf der Welt – der sein gebräuntes, sportlich gestähltes Auftreten sehr bewußt kultiviert.

aus: Peter van Becker: „Alles ist ein Spiel um den blutigen Ernst.“ Ein Gespräch mit der österreichischen Schriftstellerin über Theater, Politik und blutige Pornographie. In: Der Tagesspiegel, 20.5.1998.