er nicht als er (zu, mit Robert Walser)

(zu, mit Robert Walser)

Uraufführung an der Elisabeth Bühne Salzburg, 1998. Foto: Schauspielhaus Salzburg / Ruth Walz

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er nicht als er wurde anlässlich des Jelinek-Schwerpunkts bei den

Salz­bur­ger Fest­spie­len

1998 (

Dich­te­rin zu Gast ’98. El­frie­de Je­li­nek

) uraufgeführt.

Ivan Na­gel

, der Schauspielchef der Festspiele, hatte Jelinek vorgeschlagen, etwas über bzw. zu und mit DichterInnen, denen sie sich geistig verwandt fühlte, zu machen. Der Schweizer Dichter

Ro­bert Wal­ser

(1878-1956), der 1933 in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau eingeliefert wurde und dort starb, rückte dabei in den Mittelpunkt.

Der Titel des Stücks ergab sich laut Jelinek aus einer Reduktion von „Rob-er-t nicht als Wals-er“. Der Text ist ohne vorgegebene Aufteilung auf SprecherInnen. Er wird durch Leerzeilen in zwölf Abschnitte gegliedert. In der Regiebemerkung zu Beginn wird vorgeschlagen, dass die Sprechenden in Badewannen liegen könnten, „wie sie früher in den Irrenhäusern Verwendung fanden“.

Anhand von

Ro­bert Wal­ser

reflektiert der Text die Rolle des Künstlers (

Künst­ler

) als gesellschaftlicher

Au­ßen­sei­ter

. Im Text wird in der 2. Person Plural ein nicht näher benanntes Sie angesprochen. Thematisiert wird u.a. – unter Bezugnahme auf

Walsers

Leben in der Pflegeanstalt Herisau – der

Wahn­sinn

und das Verstummen eines Dichters. Ein wichtiger Intertext ist

Walsers

Prosaarbeit Der Spaziergang (1917). Auch auf die

Phi­lo­so­phie

Mar­tin Heid­eg­gers

wird mehrfach Bezug genommen. Im Nachwort vergleicht Jelinek

Walsers

literarisches Werk mit der

Mu­sik

Franz Schu­berts

und

Ro­bert Schu­manns

. Ein zentrales Bild, auf das verwiesen wird, ist das Foto des tot im Schnee liegenden Dichters, der bei einem Spaziergang an einem Herzschlag verstarb.

 

 

Die Literaturgeschichte ist voll von skurrilen oder tragischen Schicksalen. Doch die Geschichte Robert Walsers ist unter den tragischsten. Ihm ist die letzten dreißig Jahre seines Lebens eine Irrenanstalt als Wohnsitz zugewiesen worden, und fast diese ganze Zeit hat er nicht mehr geschrieben. Kein Aufenthalt ohne Bewegung, und Bewegung, Spaziergänge mit Carl Seelig, auch allein, sind gestattet gewesen. Doch er hat sie oft widerwillig angetreten, hat den eigenen Schlüssel verweigert; er mußte, wollte ja doch arbeiten in der Anstalt, Erbsen sortieren, Stanniolpapier falten, Tüten kleben. Nur keine Sonderregelung für den ehemaligen Dichter! Angst sogar vor dem Zimmer für sich allein, lieber mit anderen zusammenwohnen! Am besten gleich zu zehnt. Der Schriftsteller soll endlich zur Sache kommen und sich ausdrücken!

Doch wenn der Weg nach außen versperrt ist, will man auch in sich nicht mehr bleiben, weil man es muß. Das schöne reiche Innenleben des Dichters, und er gibt es uns nicht! Behält sein Licht unter dem Scheffel, dabei gehört es ihm gar nicht, es gehört uns allen! Dieser Robert Walser ist einer von denen, die, wenn sie „ich“ gesagt haben, nicht sich gemeint haben. Er sagt zwar ununterbrochen ich, aber er ist es nicht. Wie die Musik des späteren Schubert, Schumann: verdämmern, ohne sich zu meinen. Walser sieht, was jeder sieht. Und er zeigt sein Werkzeug, es aufzunehmen. Er macht etwas so und so, aber, wie Jürg Laederach von ihm sagt: er gleicht dem Käufer, der die Preisliste studiert, nicht weil er wissen will, was die Dinge kosten, sondern weil er weiß, daß er ertragen muß, nicht einkaufen zu dürfen. Es werden keine Rechnungen gestellt, und unter dem Strich kommt nichts heraus.

Da liegt der Dichter tot im Schnee, und der Hut ist ihm vom Kopf gefallen und liegt neben ihm, aber noch auf dem Foto drauf. Der Titel des Stückes ist aus den Silben seines Namens zusammengesetzt, doch das ergibt kein Ganzes und keinen Sinn: Rob-er-t nicht als Wals-er, er nicht als er. Keiner. Alles. Von ihm, auch das meiste an diesem Text.

Elfriede Jelinek: o. T. In: Jelinek, Elfriede: er nicht als er (zu, mit Robert Walser). Ein Stück. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 39-40. (Nachwort)

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