„Ikarus“ – der von Elfriede Jelinek gesprochene Text blieb unverändert,
ihre Sprach-Rhythmik und Sprachmelodie steuerten die zuvor aus dem
Text-Dokument extrahierten und von einem Sprach-Synthese-Programm
gesprochenen Konsonanten und Vokale.
Dabei bin ich ähnlich vorgegangen wie bei der Theatermusik zu Jelineks
„Das Schweigen“ (Regie: Ernst M. Binder 2003):
Auch hier habe ich nach dem archaischen Prinzip der Klangfindung
Sprachsynthese-Software (TTS-Software = Text To Speech) auf ihre
phonologisch-musikalischen Inhalte untersucht. Diese Sprach-Prothesen habe
ich mit Buchstaben und Buchstabenfolgen gefüttert und aus den generierten
Klängen phonogene Musikstücke entworfen, die dem natürlich gesprochenen
Bühnen-Wort gegenüberstehen.
Bei „Das Schweigen“ habe ich die ursprüngliche Aufgabe von TTS-Software –
eingegebene Texte in möglichst hoher Qualität akustisch wiederzugeben –
mißbraucht. Ich habe mit Buchstabenfolgen experimentiert, indem ich so lange
mit den Buchstaben jongliert habe, bis die Maschine für mich kompositorisch
verwertbare Bausteine abgeworfen hat.
Bei „Ikarus“ war ich radikaler, ich wollte die Originalstimme von Elfriede
Jelinek nicht verändern, ich habe lediglich ihre Sprach-Rhythmik, ihre
Sprachmelodie zur Steuerung herangezogen.
Zuvor habe ich aus dem Text jeweils die Vokale und die Konsonanten extrahiert,
Zwischenräume und Satzzeichen blieben erhalten. Die so entstandenen
Buchstabenketten, die das Sprachsyntheseprogramm „sprechen“ mußte, ergaben
keinen semantischen Sinn mehr, sie sind scheinbar zufällig angeordnet, sind
aber chronologischer Bestandteil des „Ikarus“-Textes geblieben.
Bei der Endfertigung des „Ikarus“-Stücks lief diese Vokal- und Konsonanten-Spur
im Hintergrund, erst durch Lautstärken-Modulation hat sie Elfriede Jelineks
Stimme in den Vordergrund geholt:
Der Tonhöhenverlauf hob die Vokal-Spur hervor, der Rhythmus die
Konsonanten-Spur.
Ich ließ das Werkl laufen, ohne kompositorischen Eingriff, mit wellenartigen
Bewegungen der Sonne entgegen!
Josef Klammer: Originalbeitrag.
Jelinek verfasste Ikarus. Ein höheres Wesen ursprünglich für eine Tanztheater-Produktion von Violanta de Raulino. Das Hörspiel entstand auf Grundlage von Jelineks Text zu einer Zeit, in der die Realisierung als Tanztheater noch ungeklärt war. 2006 erfolgte die Uraufführung des Tanztheaters
Ikarus
.
Der Text, der sich auf den antiken Mythos (
Antike
) von Daedalus und Ikarus bezieht, wurde von Jelinek selbst eingelesen. Dabei wurde Jelineks Stimme vom Musiker
Josef Klammer
, der bereits die Musik zu
Ernst M. Binders
Inszenierung ihres Theatertextes
Das Schweigen
komponierte, mittels eines Sprachsynthetisierungsprogramms akustisch bearbeitet. Neben dem gelesenen Text werden auf einer zweiten, parallel laufenden Tonspur Vokale und Konsonanten eingespielt, die Klammer aus dem Gesamttext extrahierte.