Moosbrugger will nichts von sich wissen

(als Teil der Hörspiel-Großproduktion Der Mann ohne Eigenschaften. Remix)

Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. München: der hörbuchverlag 2004

Produktion

|

Baye­ri­scher Rund­funk

, 2004 (in Zusammenarbeit mit Der Hörverlag München, belleville Verlag München und dem Robert-Musil-Institut Klagenfurt)

SprecherInnen

Erstsendung

  • 3.1.2005

    Dauer: 59 min 4 sec ( Besuch. Kapitelentwurf (1934) und Notizen (1928) : 24 min 5 sec; Moosbrugger will nichts von sich wissen : 34 min 59 sec)

Abdrucke

Erstdruck:

Weitere Veröffentlichung:

Podcast

Der Mann ohne Eigenschaften. Remix wurde vom 19.9.2008 bis zum 28.1.2009 in 20 Teilen wöchentlich im Hörspiel-Pool des Podcast-Angebots des Bayerischen Rundfunks veröffentlicht und zum Download angeboten. Als 16. Teil stand die Radioproduktion von Jelineks Text Moosbrugger will nichts von sich wissen zur Verfügung.

CD

Aga­thos, Ka­ta­ri­na

/

Kap­fer, Her­bert

:

Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften. Remix.

Mün­chen

:

der hör­buch­ver­lag

2004

(= kombinierte Buch- und Hörbuchedition (20 CDs))

.

Die Produktion des Radiotextes erschien als Teil der kombinierten Buch- und Hörbuch-Edition (20 CDs): Agathos, Katarina / Kapfer, Herbert (Hg.): Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. München: der hörverlag 2004.

Würdigung

Die gesamte Produktion Der Mann ohne Eigenschaften. Remix erhielt den Deutschen Hörbuchpreis 2005 in der Kategorie „Best of all“.

 

Jelinek verfasste

Moos­brug­ger will nichts von sich wis­sen

für Der Mann ohne Eigenschaften. Remix , einem literarischen Projekt des Bayerischen Rundfunks zu Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften . Der Teil mit Jelineks Text war der 16. der 20-teiligen Gesamtproduktion, die zwischen 27.12.2004 und 5.1.2005 im Bayerischen Rundfunk gesendet wurde.

Der Erstsendung des 20-stündigen Hörspiels, in dessen Rahmen die Produktion von Jelineks Text zu hören war, gingen mehrere Begleitsendungen voraus. Teil dieser Begleitsendungen war eine Produktion von Jelineks

Moos­brug­ger will nichts von sich wis­sen

als Hörspielmonolog. Gleichzeitig mit der Erstsendung des Gesamtprojekts erschien der Remix als kombinierte Buch- und Höredition.

Jelinek greift in ihrem Text die Figur des Frauenmörders Moosbrugger aus Musils Der Mann ohne Eigenschaften auf. Der Text berichtet vom gewaltsamen

Tod

seines letzten Opfers (

Ge­walt

) und reflektiert die sexuelle Dimension (

Se­xua­li­tät

) seines Verbrechens, das Selbst- und das Frauenbild des Mörders (

Frau

,

Mann

) und geht der Frage nach, ob Moosbrugger bei der Tat zurechnungsfähig war.

 

(Ist das jetzt ein Monolog oder was? Keine Ahnung!)

Ich möchte jetzt bitte sofort ein Verbrechen aufarbeiten, irgendeins, es kann ruhig auch ein nationalsozialistisches sein, aber nein, das sind so viele, da kann ich mich nicht entscheiden, welches ich nehme! Die Verbrechen sollen ohnehin ruhig bleiben, zumindest während sie begangen werden, sie sind ja keine Autobahnbrücken, über die endlos Verkehr, egal wie schwer, egal was es uns kostet, rollen könnte, sie sind zart und anfällig, und dasselbe wird auch vom Fleisch berichtet, das sich ergibt oder auch nicht, so wie sich einer der Trunksucht ergibt. Deshalb sucht das Verbrechen so gern das Fleisch, die beiden gehören irgendwie zusammen. Nachher: Lärm möglich, ja erwünscht! Obwohl das Individuum wenig zählt, nicht einmal bis drei, hängen die Menschen immer einer Ordnung an, die ihnen aber jederzeit zum Verhängnis werden kann, viel mehr als ich es je könnte. Jedes Opfer ist nicht nur Opfer, es arbeitet mit dem mit, der es zum Opfer macht. Auf welche Weise wird ein Individuum zu einem solchen, nein, nicht zu einem Opfer, zu einem Individuum, das genügt schon, wie kann es aus dem Steinbruch des Kollektivs herausgemeißelt und gleichzeitig geborgen werden, sich trügerisch geborgen zumindest fühlen? Und wie entsteht das Kollektiv überhaupt, in einer Zusammenhäufung von Menschen, die nicht willkürlich ist, sondern unter eine einigende Idee gestellt? Es bedarf nur einiger kleiner Eingriffe, es bedarf keines Messers, nicht einmal eines 12 cm kleinen, um etwas wahr sein zu lassen wie sein eigenes Gegenteil auch. Die Gesellschaft verkehrt alles ins Gegenteil, durch einen winzigen Schnitt, denn sie hält ja auch alles zusammen, so wie die Anhänger einer kollektiven Ordnung, egal welcher, die Ordnung selbst am Leben erhalten. Sie werden zur Ordnung, sie sind die Ordnung, und sie sagen, was in Ordnung ist und was nicht. Jetzt brauchen wir nur noch Zeit, um das alles auszuführen, was ich Ihnen sage. Bei manchen von Ihnen wird die Zeit überhaupt nichts bewirken, sie werden einfach nur träge herumlungern und warten, wer weiß auf was. Sie wissen es ja selbst nicht. Andre wieder haben nicht die Kraft, sich die Zeit zu vertreiben und werden von ihr vertrieben, ins Nichts, und ihr Leben führt zu nichts und nirgendwohin.

aus: Elfriede Jelinek: Moosbrugger will nichts von sich wissen. In: Agathos, Katarina / Kapfer, Herbert (Hg.): Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. München: belleville Verlag Michael Farin 2004, S. 424-434, S. 424-425.

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