Die Bühne ist ein klaustrophobischer Raum. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek im E-Mail-Austausch mit dem Dramaturgen Roland Koberg

Nachweis

  • Ko­berg, Ro­land

    :

    Die Bühne ist ein klaustrophobischer Raum. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek im E-Mail-Austausch mit dem Dramaturgen Roland Koberg. In: Programmheft des Schauspielhauses Zürich zu Faust 1-3

    2012

    .

auch in:

  • Ko­berg, Ro­land

    :

    Menschenmüll aufräumen. Elfriede Jelinek über das Sekundärdrama. In: Programmheft des Düsseldorfer Schauspielhauses zu Faust 1-3

    2013

    (Titel: Menschenmüll aufräumen. Elfriede Jelinek über das Sekundärdrama )

    .

 

Über die Form des Sekundärdramas, die Figur des Faust,

Goe­thes

Urfaust und Faust , ihre Verwendung von Zitaten in

Faus­tIn and out

, die Fälle

Fritzl

und

Na­ta­scha Kam­pusch

, das Verhältnis von Opfern und Tätern und die

Me­di­en

als ihre Quellen. In den Sekundärdramen gehe es ihr darum, sich „in ihre Leerstellen hineinzuquetschen“ und „den Menschenmüll, den der Klassiker hinterlassen hat“, zu beseitigen. Den im Stück verarbeiteten Fall

Fritzl

beschreibt sie als einen „der Kulminationspunkte der männlichen Verbrechen an der Frau“ (

Frau

,

Mann

,

Ge­walt

).

 

Roland Koberg:Fasziniert Sie Faust, der deutsche Mann?

Elfriede Jelinek: Er fasziniert mich überhaupt nicht als deutscher Mann. Er fasziniert mich als Dramenfigur, die von einem deutschen Mann geschaffen wurde, der das eherne Gesetz des Schaffens entschlossen an sich gerissen hat und über die Schicksale seiner Figuren verfügt. Man könnte auch sagen, ich renne mit der Schaufel und dem Besen hinter ihm her und beseitige den Menschenmüll, den der Klassiker hinterlassen hat. [...]

Was war zuerst wichtig? Sich zu Goethes „Faust“ zu äussern oder einen Text zu Fritzl und den Strategien des patriarchalischen Machterhalts zu schreiben?

Der erste Impetus war sicher schon, sich diesem Marmorblock Goethe zu nähern, mit schwachen Fingernägeln ein bisschen an ihm zu kratzen. Alles, was so unumstritten ist wie die Grösse Goethes und seines Hauptwerks reizt mich, auch im Bewusstsein, davon ausgeschlossen zu sein, denn die grossen Kulturschöpfungen kommen ja nicht von der Frau. Aber manchmal kann sie wenigstens mit einem kleinen Daunenkissen auf den Marmor einschlagen. Bis die Federn fliegen. Fritzl ist nur, wie gesagt, ein exemplarischer Fall, aber es gibt unzählige.

Bei Goethe wie auch in Ihrem Sekundärdrama geht es um die Macht über die Frau. Argumentieren Sie „als Frau“, so wie Goethe seinen Faust „als Mann“ geschrieben hat?

Ja, wahrscheinlich geht es nicht anders, also für mich nicht. In meiner Methode der sarkastischen, überspitzten und überspitzenden Schilderung muss man exemplarisch bleiben, da kann man mit Individualisierung wenig erreichen, man kann sie höchstens als Beispiel immer wieder einfügen, als Konkretion des Gesagten. Zumindest in den Sekundärdramen [...] will ich ja gerade auf etwas verweisen, auch im Sinn von: wegweisen, den Weg weisen und jemand, den Fremden, den, der nicht hierher gehört (und die Frau ist ja nicht das Subjekt, sie ist Das Andere) wegweisen. [...]

Als Grundsituation geben Sie an: Frauen in Fernsehsesseln. Es wird geredet und geklagt, aber die Frauen kommen nicht aus dem Sessel. Ist „Faustin and out“ auch ein Stück gewordenes Frauenschicksal?

In gewisser Weise teile ich dieses Schicksal mit allen. Ich weiss bloss, dass mir durch die Medialisierung von Realität nichts wirklich entgeht.

aus: Roland Koberg: Die Bühne ist ein klaustrophobischer Raum. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek im E-Mail-Austausch mit dem Dramaturgen Roland Koberg. In: Programmheft des Schauspielhauses Zürich zu Faust 1-3 , 2012.