Babel

Uraufführung am Akademietheater Wien, 2005. Foto: Burgtheater Wien / Christian Brachwitz

Abdrucke

Erstdruck (= Buchausgabe):

darin:

  • Irm sagt:S. 87-98. (= Fassung des Abdrucks im Programmheft des Schauspielhauses Zürich zu Christoph SchlingensiefsAttabambi-Pornoland. Eine Reise durchs Schwein, 2004)

    .

  • Margit sagt: S. 99-134. (= überarbeitete Fassung des Abdrucks im Programmheft des Schauspielhauses Zürich zu Christoph Schlingensiefs Attabambi-Pornoland. Eine Reise durchs Schwein , 2004)

    .

  • Peter sagt: S. 135-228.

Weiterer Abdruck:

Teilabdrucke:

Aufführungen

 

Babel besteht aus drei Teilen und ist eine Erweiterung von Irm sagt: und Margit sagt: . Jelinek ergänzte diese beiden Texte, die sie auch überarbeitete und erweiterte, um Peter sagt: , eine Hommage an den Schauspieler Peter Kern keinem der drei Texte werden Angaben zu Schauplätzen gemacht. Dem Text Margit sagt: wurde in Klammern folgende Danksagung nachgestellt:

„(Tausend Dank, lieber Herr Dr. Otto Gross, ich wollte immer ein Mann sein und homosexuell, damit ist aber nicht das Minderwertigkeitsgefühl, eine Frau zu sein, in mich eingedrungen, wie ich immer geglaubt habe, sondern, ach, ich weiß nicht recht, ist es wirklich der Wunsch, von der mit infantilem Material belasteten Heterosexualität und deren Destruktionssymbolik freizukommen? Könnte gut sein. Ich werde nie an mir festhalten, da such ich mir schon was Festeres aus!)“

Babel ist das zweite Stück Jelineks nach Bambiland , das sich mit dem

Irak­krieg

und seinen Folgen auseinandersetzt. Der Text thematisiert die mediale Repräsentation (

Me­di­en

) von

Krieg

und

Ge­walt

sowie die unreflektierte Konsumation der via

In­ter­net

und TV vermittelten Bilder. Reale Bezüge hat Babel im Folterskandal im Gefängnis Abu Ghraib sowie in den von den US-Soldaten gemachten Fotos der Gewalttaten, den Ereignissen in der irakischen Stadt Falludscha, in der die Bewohner die Leichen amerikanischer Soldaten schändeten, der vor laufender Kamera vorgenommenen Enthauptung des US-amerikanischen Geschäftsmanns Nicholas Berg und in den Anschlägen vom 11. September 2001 (

Elf­ter Sep­tem­ber

,

Ter­ro­ris­mus

,

USA

). Jelinek verarbeitet u.a. auch den Mythos um den Wettkampf zwischen Apoll und Marsyas (

An­ti­ke

), in dem Apoll als Sieger hervorgeht und den Unterlegenen an einem Baum aufhängen und bei lebendigem Leib häuten lässt.

Weiters gibt es intertextuelle Bezüge zum Testament des 9/11-Piloten Mohammed Atta, wobei das Motiv des „Märtyrers“ sowohl in Hinblick auf das Christentum als auch den

Is­lam

thematisiert und mit dem Motiv des

Kan­ni­ba­lis­mus

verschränkt wird. Weiters verarbeitet Jelinek psychoanalytische Diskurse – etwa von Sigmund Freud und Otto Gross (

Psy­cho­ana­ly­se

) – sowie die Sequenz aus Luis Buñuels Film Ein andalusischer Hund (1929), die in Großaufnahme einen mit einem Rasiermesser zugefügten Schnitt durchs Auge zeigt.

 

  • Jelineks Essay o. T. (im Rahmen von Künstler gegen den Krieg ) (2003)

  • Jelineks Essay Elfriede Jelinek schreibt an Peter Kern (2012)

  • Jelineks Essay Kein Macher. Hier geht es ans Eingemachte! (für Peter Kern) (2014)

  • Herbert Kapfers Hörspielbearbeitung Bambiland (2005)

 

Peter Schneeberger:„Babel“ handelt von Religion, Pornographie, dem Irakkrieg und den Medien: Wie hängt der Irakkrieg mit der Berichterstattung über ihn zusammen?

Elfriede Jelinek: Dieser Krieg ist so oft durch die Faschiermaschine der Medien gedreht worden (embedded journalists) Authentizität vortäuschend (dieser Krieg ist sogar ganz besonders authentisch, wir sind dabei, hautnah!), dass ein Abstraktionsvorgang durch vielfältige Assoziationen, von der Antike bis zu anderen Mythen, von der Psychoanalyse bis zu Aischylos, von politischer Analyse bis zur Philosophie Nietzsches, vielleicht die Wahrheit eher herausbringt als dieses sogenannte „in Echtzeit dabei sein“, denn natürlich wird auch den „embedded journalists“ nur gezielt gezeigt, was sie sehen dürfen. Die Aufgabe des Autors ist das Entmythologisieren, die Wahrheit hinter diesen Lügen, die sich für die Wahrheit ausgeben, bloß, weil sie das erste Wort gehabt haben. Und wenn der Autor, die Autorin das mit den neuen Mythen tut (wie ich im Peter-Monolog mit Marsyas zum Beispiel), dann soll das vielleicht im besten Fall Aufklärung von einer ganz andren Seite aus bringen. Dieser Krieg IST ja die Berichterstattung über ihn. Etwas anderes wissen wir nicht über ihn. [...]

Zentrales Thema ihres „Babel“-Textes sind die Folter-Fotos aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis. Wie schätzen sie die Ästhetik dieser Fotos ein?

Es ist Porno-Ästhetik, und deshalb habe ich auch Otto Gross und die Psychoanalyse als Analytiker dazugebeten. Ich weiß bis heute nicht, was in dem Einsiedeglas ist, das Lynndie England auf einem Tuch auf ihrem Schoß hält, während sie mit dem wahrscheinlich sadistischen Folterer Charles Graner, ihrem Liebhaber, vor der Kamera posiert. Aber das ist die Ästhetik von Pornos, und die wollen die Beteiligten natürlich nachstellen. Körper sind dazu da, verbraucht zu werden, aber wenn möglich, sollte man sie doch in den vielfältigsten Posen und Stellungen zeigen, damit alle was davon haben, bevor sie weggeschmissen werden, die Körper. Es geht um Pornographie und Krieg, also um das Fleisch als solches, wie schon bei Rubens, zum Beispiel beim „Engelssturz“, der für mich reine Pornographie ist, auch durch die Inszenierung der nackten Körper. Bei Brecht steht das Fleisch auf in den Vorstädten, um verbraucht zu werden. Im Krieg wird es mit teuren Transportmitteln eigens hingekarrt, um zu vernichten und vernichtet zu werden. Da der Krieg so teuer ist, muss er eben ausgeschlachtet werden. […]

Wie aufmerksam haben sie den Irak-Krieg verfolgt?

Sehr aufmerksam: als eine Art Karikatur eines embedded writers, mit einem Block und einem Stift. So habe ich „Bambiland“, den ersten Teil des Ganzen, geschrieben, ich habe mitgeschrieben mit der Berichterstattung über den Krieg und dann Aischylos als Schrittmacher engagiert. „Babel“, die folgenden drei langen Monologe, sind die Durchführung dieses Themas, wenn wir bei musikalischer terminologie bleiben wollen: Durchführung mit Variationen.

aus: Peter Schneeberger: „Bis ich am Boden aufschlage“. In: profil, 7.3.2005.

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