Die Kontrakte des Kaufmanns

Eine Wirtschaftskomödie

Uraufführung am Schauspiel Köln, 2009. Foto: Schauspiel Köln / David Baltzer

Abdrucke

Erstdruck (=Buchausgabe):

Teilabdrucke:

Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie. Epilog

  • Je­li­nek, El­frie­de

    :

    Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie. Epilog. In: Welten Wenden 9809. Theater der Zeit, Arbeitsbuch 18 (

    2009

    ), S. 84-90

    .

Aufführungen

Aber sicher! (eine Fortsetzung)

Preise

2009 erhielt

Ni­co­las Ste­manns

Uraufführungsinszenierung den Kurt-Hackenberg-Preis.

 

 

Jelinek arbeitete an ihrem 2008 für die

Münch­ner Kam­mer­spie­le

verfassten Text

Uns bleibt nur der Straf­rah­men

weiter, der ursprüngliche Text fungiert in Die Kontrakte des Kaufmanns als Prolog. Ausgangspunkt des Stücks sind die Skandale um die ehemalige österreichische Gewerkschaftsbank BAWAG und die Meinl-Bank, die sich im Vorfeld der internationalen Finanz- und

Wirt­schafts­kri­se

im Jahr 2008 ereigneten.

Das Stück besteht aus zwei verschieden langen Teilen, dem kurzen PROLOG und dem langen Abschnitt DAS EIGENTLICHE . Als Schauplatz wird eine „ Außerordentliche Hauptversammlung “ von Aktionärsvertretern genannt. Im Abschnitt DAS EIGENTLICHE folgt auf den Chor der Kleinanleger der Chor der Greise . Weitere Passagen sind mit Engel der Gerechtigkeit: , Engel und Stein: , Engel: , Zweiter Engel der Gerechtigkeit: , Dritter Engel der Gerechtigkeit: , Der erste Engel der Gerechtigkeit: und Mehrere Engel der Ungerechtigkeit: , Engel der Gerechtigkeit, ich weiß aber nicht mehr, welcher: sowie Noch mehr Engel, die bislang nicht aufgetreten sind, oder es tritt jemand ganz anderer auf, mir doch egal: überschrieben. Im Mittelpunkt der chorischen Sequenzen, die auf die Chöre der griechischen Tragödie (

An­ti­ke

) verweisen, und der Textpassagen der Engel steht eine kritische Auseinandersetzung mit dem

Ka­pi­ta­lis­mus

und der Sprache der Ökonomie.

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Dank, ihr Zeitungen und Zeitschriften alle, dank auch dir, liebes Netz!

Danke,

He­le­ne Schu­berth

, danke, Europa, äh,

Eu­ri­pi­des

(‚Herakles‘, nach der Übersetzung von J. J. Donner).

Danke, Meinl-Bank, für die Wahrheit und für das Vorwort zum Geschäftsbericht 2006.“

Am 16.3.2009 wurde das Stück in Form einer Urlesung im

Wie­ner Aka­de­mie­thea­ter

(Leitung:

Ni­co­las Ste­mann

) erstmals präsentiert. Elemente dieses Abends wurden für die Uraufführung am

Köl­ner Schau­spiel­haus

übernommen.

Jelinek verfasste nach der Uraufführung auf

Ste­manns

Anregung einen Epilog mit dem Titel Schlechte Nachrede , der in den weiteren Aufführungen integriert wurde. Die Inszenierung wurde laufend weiterentwickelt. Als Quellen zum Epilog gibt Jelinek Folgendes an:

„Ha! Hab ichs doch gewußt, daß ich etwas finden werde, das ich schänden und entwerten kann wie Geld:

Re­né Girard

: ‚Das Heilige und die Gewalt‘

Dazu etwas Antikes: Die Elektra des

Eu­ri­pi­des

Und für die Moderne: Prof.

Max Ot­te

, 44“

Nach dem Epilog verfasste Jelinek einen weiteren Text in zwei Teilen mit dem Titel Aber sicher! (Eine Fortsetzung) . Dessen Abschnitt 2. Akt, kann man auch weglassen, wie alles, damit nichts bleibt. (für Rosa Luxemburg) beginnt mit einer Beschreibung des Leichnams

Ro­sa Lu­xem­burgs

. Der Text wurde von Jelinek auf Video eingelesen.

Ste­mann

integrierte die Videoaufnahme anlässlich der Übernahme der Uraufführung an das

Tha­lia Thea­ter Ham­burg

(Premiere: 2.10.2009) in die Inszenierung. Jelinek entfernte diese Fassung von ihrer Website und veröffentlichte in der Zeitschrift

ma­nu­skrip­te

und auf ihrer Website eine zweite Fassung des Textes ohne den 2. Akt. Über ihre Quellen hat Jelinek diesem Text Folgendes nachgestellt:

DANKE sehr an: ‚

Der Spie­gel

‘ (dramatisiere auf Wunsch jeden Leitartikel!).

So­pho­kles

: ‚König Ödipus‘, übersetzt von

Hu­go v. Hof­manns­thal

Die zweite Fassung hat Jelinek ebenfalls von ihrer Website genommen und durch eine überarbeitete Fassung ersetzt, die erstmals am 14.3.2013 am

Thea­ter Bre­men

in der

In­sze­nie­rung von Alex­an­der Rie­men­schnei­der

aufgeführt wurde.

Für das Gastspiel der Uraufführungsproduktion beim Berliner Theatertreffen 2010 verfasste Jelinek einen weiteren Zusatztext mit dem Titel

Im Wett­be­werb

, der von den SchauspielerInnen gelesen wurde. Über ihre Quellen hat Jelinek diesem Text Folgendes nachgestellt:

„Angabe, man muß es ja sagen: Karl Marx
Ovid: Metamorphosen (nach der Übersetzung von Reinhart Suchier)
Ich aber auch!“

Für ein Gastspiel der Uraufführungsinszenierung am Onassis Cultural Center in Athen am 27.3.2014 verfasste Jelinek einen weiteren Zusatztext mit dem Titel

War­nung an Grie­chen­land vor der Frei­heit

. Über ihre Quellen hat Jelinek diesem Text Folgendes nachgestellt:

„Vor den Vorhang, Mr.

Pla­ton

, hier ist er, hier steht es, Politeia, das steht drauf, bittesehr, Sie haben das gesagt, nicht ich, nein, Sie haben es mir vorgesagt, doch ich konnte es nicht richtig nachsagen. Bitte entschuldigen Sie!“

Für einen Workshop von

Ni­co­las Ste­mann

zu Die Kontrakte des Kaufmanns , der von 23.-29.9.2014 im Theatre of Europe in London stattfand, verfasste Jelinek den Zusatztext

Eng­land. Ein Zu­satz. Und ich hab doch im­mer nur was aus­zu­set­zen!

. Die ersten vier Absätze des Textes wurden beim Workshop in

eng­li­scher Über­set­zung

verwendet. Dem Text ist folgende Anweisung vorangestellt: „ (singen – jeder kennt es in GB – „Abide with me“) “. Der Text rekurriert u.a. auf die Industriegegend Tyneside im Norden Großbritanniens, die von Arbeitslosigkeit (

Ar­bei­te­rin

,

Ar­bei­ter

) geprägt ist. Weiters geht es darin um Produktions- und Konsumationsverhältnisse in Zeiten der Wirtschaftskrise und damit verbundenen Geschlechterasymmetrien (

Frau

).

 

Joachim Lux: Ausgangspunkt Ihres Stückes ist ein lokaler, österreichischer Fall. Zeigt sich in ihm in nuce, was jetzt wirtschaftlich auf der ganzen Welt geschieht?

Elfriede Jelinek: Der österreichische Fall ist ja auf absurde Weise global, er ist eine Parodie auf den Global Player, als der sich jeder fühlen kann, der da sein erspartes Geld auf die Hausbank trägt, von wo es sofort in die Karibik transferiert wird, an Orte, wo der ursprüngliche Besitzer des Geldes wahrscheinlich noch nie war. Man gehört sozusagen zu einer beinahe religiösen Gemeinde und wird doch nur ausgenommen.

Warum wollten Sie zu diesem Fall Stellung nehmen? Meist tun sich Autoren mit der Darstellung wirtschaftlicher Verhältnisse schwer.

Ich verstehe nichts von Wirtschaft oder nicht viel, aber gerade das ist mir reizvoll erschienen, denn ganz offensichtlich versteht die Masse der Geschädigten, die ihr Geld verloren hat, auch nicht viel mehr davon. Ich wollte, wie fast immer in meinen Stücken, die Sprache von der Leine lassen und schauen, in welchen Winkeln sie schnüffelt und was sie von dort aus dem Schmutz und Staub zutage fördert. Was mich interessiert, ist das plötzliche Auftauchen immer neuer Fragen und Infragestellungen des Kapitalismus, der doch gesiegt hat und seither sakrosankt ist, in der veröffentlichten Meinung, und das Komische an diesem österreichischen Fall [...] ist eben die Parodie der Verdrängung, also die Verleugnung des Offensichtlichen, nämlich des „guten“ Namens, mit dem die Anleger angeworben wurden. [...]

Sie nennen das Stück eine „Wirtschaftskomödie“. Was ist am Bankrott zahlloser Firmen, dem Zusammenbruch der Börsen, den Verlusten der Kleinanleger und der vermutlich im Jahr 2009 steigenden Arbeitslosigkeit „komisch“?

Die Dialektik zwischen dem Offensichtlichen und dessen Verdrängung und Verleugnung, insbesondere der Beglaubigung eines Wertpapiers durch einen berühmten Namen, unter den man dann seinen eigenen, viel kleineren Namen setzen darf, und damit hat man dann Papiere als mündelsicher und mit Profitgarantie erworben, die nichts als impotente Zertifikate sind, die man als solche nicht, wie es sich in diesen Kreisen eigentlich gehören würde, mit ihrem richtigen Namen vorgestellt bekommen hat. Man setzt seinen unwichtigen Namen also, im Namen eines Namens, mit dem man sich gern identifizieren würde, unter das, was einem Gewinn garantiert, aber den totalen Verlust bringt. Das kann bei aller persönlichen Tragik schon auch sehr komisch sein. Andererseits aber eben in eine echte Tragödie münden (alle guten Komödien sind nur haarscharf von der Tragödie entfernt), in Mord, Selbstmord, Verzweiflung.

aus: Joachim Lux: „Geld oder Leben! Das Schreckliche ist immer des Komischen Anfang.“ Elfriede Jelinek im Email-Verkehr mit Joachim Lux. In: Programmheft des Schauspiel Köln zu Elfriede Jelineks Die Kontrakte des Kaufmanns , 2009.

Mehr unter Einzelne Werke