Die Kontrakte des Kaufmanns
Eine Wirtschaftskomödie
Uraufführung am Schauspiel Köln, 2009. Foto: Schauspiel Köln / David Baltzer
Uraufführung am Schauspiel Köln, 2009. Foto: Schauspiel Köln / David Baltzer
Jelinek, Elfriede
:
Die Kontrakte des Kaufmanns. In:
Jelinek, Elfriede
:
Die Kontrakte des Kaufmanns. Rechnitz (Der Würgeengel). Über Tiere. Drei Theaterstücke.
Reinbek
:
Rowohlt Taschenbuch Verlag
2009
, S. 207-348
DN
.
Jelinek, Elfriede
:
Prolog.
Teilabdruck
In: Theater heute 3/
2009
, S. 14-15
(Vorabdruck)
.
Jelinek, Elfriede
:
Nicht erlöst, unerlöst.
Teilabdruck
In:
Polt-Heinzl, Evelyne
:
Lesebuch Finanzkrise. ZIRKULAR Sondernummer 73 (
2009
), S. 99-101
.
Jelinek, Elfriede
:
Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie. Epilog. In: Welten Wenden 9809. Theater der Zeit, Arbeitsbuch 18 (
2009
), S. 84-90
.
Urlesung | 16.3.2009
, I:
Nicolas Stemann
UA | 16.4.2009
, I:
Nicolas Stemann
Erstsendung des TV-Mitschnitts: WDR, 2.5.2010 (gekürzt) sowie: 3sat, 15.5.2010 (ungekürzt).
zu sehen auf:
Auf DVD folgendem Buch beiliegend: Jelinek, Elfriede: Rechnitz and The Merchant’s Contracts. Ü: Gitta Honegger. London: Seagull Press 2015.
16.10.2009
Nederlands Toneel
, Gent
, I:
Johan Simons
, Ü:
Inge Arteel
(Titel: Underground)
Übersetzte Werke
Jelineks
Essays über Johan Simons
18.10.2009
, I:
Stefan Otteni
13.11.2009
Saarländisches Staatstheater
Saarbrücken
, I:
Antje Thoms
21.11.2009
, I:
Tilman Gertsch
28.11.2009
, I:
Johannes Lepper
9.1.2010
, I:
Joachim Schloemer
9.1.2010
, I:
Ditte Maria Bjerg
, Ü:
Mary Aniella Petersen
(Titel: Afterparty)
Übersetzte Werke
26.4.2010
Schaubühne am Lehniner Platz
, Berlin
, I:
Pedro Martins Beja
18.6.2010
, I:
Lukas Langhoff
8.1.2011
, I:
Thorleifur Örn Arnarsson
28.1.2011
, I:
Christina Schmutz
,
Frithwin Wagner-Lippok
, Ü:
Christina Schmutz
,
Frithwin Wagner-Lippok
(Titel: On caram és la compresa performativa de la Blancaneu? (Una telenovela a partir de „¡No pasa nada!“ i „Los contratos del comerciante“ de Elfriede Jelinek)
Übersetzte Werke
, gemeinsam mit
Macht nichts
15.2.2011
, I:
Philipp Preuss
18.3.2011
, I:
Bernd Freytag
7.5.2011
, I:
Isabel Osthues
17.9.2011
Dramaten
, Stockholm
, I:
Mellika Melouani Melani
, Ü:
Magnus Lindman
1.10.2011
, I:
Christian von Treskow
12.11.2011
, I:
Jonas Corell Petersen
, Ü:
Mons Andreas Finne Vedøy
3.3.2012
, I:
Paweł Miśkiewicz
, Ü:
Mateusz Borowski
,
Małgorzata Sugiera
13.6.2012
Ponto Teatro
, Porto
, I:
Emanuel de Sousa
, Ü:
Helena Topa
(Titel: Capital Fuck)
Übersetzte Werke
11.11.2012
, I:
Marc Becker
19.4.2013
Movimentos Festwochen
Wolfsburg
, I:
Boris von Poser
26.2.2016
, I:
Katja Fillmann
Leonhard Koppelmanns Hörspielbearbeitung
Eine Wirtschaftskomödie (2015)
Joachim Lux: Ausgangspunkt Ihres Stückes ist ein lokaler, österreichischer Fall. Zeigt sich
in ihm in nuce, was jetzt wirtschaftlich auf der ganzen Welt geschieht? Elfriede Jelinek: Der österreichische Fall ist ja auf absurde Weise global, er ist eine
Parodie auf den Global Player, als der sich jeder fühlen kann, der da sein erspartes
Geld auf die Hausbank trägt, von wo es sofort in die Karibik transferiert wird, an Orte, wo der ursprüngliche Besitzer des Geldes wahrscheinlich noch nie war. Man
gehört sozusagen zu einer beinahe religiösen Gemeinde und wird doch nur ausgenommen. Warum wollten Sie zu diesem Fall Stellung nehmen? Meist tun sich Autoren mit der Darstellung
wirtschaftlicher Verhältnisse schwer. Ich verstehe nichts von Wirtschaft oder nicht viel, aber gerade das ist mir reizvoll
erschienen, denn ganz offensichtlich versteht die Masse der Geschädigten, die ihr
Geld verloren hat, auch nicht viel mehr davon. Ich wollte, wie fast immer in meinen
Stücken, die Sprache von der Leine lassen und schauen, in welchen Winkeln sie
schnüffelt und was sie von dort aus dem Schmutz und Staub zutage fördert. Was
mich interessiert, ist das plötzliche Auftauchen immer neuer Fragen und Infragestellungen
des Kapitalismus, der doch gesiegt hat und seither sakrosankt ist, in der
veröffentlichten Meinung, und das Komische an diesem österreichischen Fall [...]
ist eben die Parodie der Verdrängung, also die Verleugnung des Offensichtlichen,
nämlich des „guten“ Namens, mit dem die Anleger angeworben wurden. [...] Sie nennen das Stück eine „Wirtschaftskomödie“. Was ist am Bankrott zahlloser Firmen,
dem Zusammenbruch der Börsen, den Verlusten der Kleinanleger und der vermutlich im
Jahr 2009 steigenden Arbeitslosigkeit „komisch“? Die Dialektik zwischen dem Offensichtlichen und dessen Verdrängung und Verleugnung,
insbesondere der Beglaubigung eines Wertpapiers durch einen berühmten
Namen, unter den man dann seinen eigenen, viel kleineren Namen setzen
darf, und damit hat man dann Papiere als mündelsicher und mit Profitgarantie
erworben, die nichts als impotente Zertifikate sind, die man als solche nicht, wie
es sich in diesen Kreisen eigentlich gehören würde, mit ihrem richtigen Namen
vorgestellt bekommen hat. Man setzt seinen unwichtigen Namen also, im Namen
eines Namens, mit dem man sich gern identifizieren würde, unter das, was einem
Gewinn garantiert, aber den totalen Verlust bringt. Das kann bei aller persönlichen
Tragik schon auch sehr komisch sein. Andererseits aber eben in eine echte Tragödie
münden (alle guten Komödien sind nur haarscharf von der Tragödie entfernt), in
Mord, Selbstmord, Verzweiflung.
So könnte es hier vielleicht aussehen: Der Saal fensterlos, gedämpftes Licht, Wände und Decken schwarz, Boden und Sesselreihen dunkelgrau,
die Menschen dunkel gekleidet. Ganz vorn ein Podium, die Tische darauf mit schwarzen Tüchern verhängt. Wo bin ich? Beim Jahrestreffen der Gruftie-Gruppe?
Der Groupies von Beerdigungsunternehmern, wüßte ich es nicht besser? „Annual General Meeting, 16 July 2008, St. Helier / Jersey, oder St. Peter Port / Guernsey,
egal wo, unsere Gesellschaft lädt ein.“ Das steht auf der Rückwandprojektion am Ende des Saales. Eine Vokabel fehlt: Extraordinary. Außerordentliche
Hauptversammlung. Es geht um ein millionenschweres Geschäft. Die Bank, die Immo-Gesellschaft aus fernem Land, unnahbar unseren Schritten,
wollen es hier besiegelt sehen, was sie beschlossen haben. Viele Anleger fürchten, noch mehr Geld zu verlieren. Und so wird es auch sein.
Mit ein paar hunderttausend Stimmrechten in der Tasche sitzt man hier in der Halle, Vertreter von Kleinanlegern, die nicht einmal in ihr
eigenes Bad finden würden, hätten sie keinen Wegweiser in der Wohnung, aus der sie bald weggewiesen werden, denn sie haben Papiere dieser Gesellschaft gekauft.
Sie haben alles verkauft, um Papiere dieser Gesellschaft zu kaufen. Was liegt herum? McBook oder anderes notebook auf den Knien, Sie auch auf den Knien,
drei elektronische Voting Machines, Taschen, Blackberry, Fotoapparat, Unterlagen, Schreibmaterialien, eine kleine Flasche Mineralwasser. Kein Tisch.
Alles liegt auf dem Boden. Der Text kann an jeder beliebigen Stelle anfangen und aufhören. Es ist egal, wie man ihn realisiert, ich stelle mir vor,
daß drei oder vier Männer ihn möglichst laut schreien. Sie müssen dabei nicht präzise vorgehen, das heißt, sie müssen nicht unbedingt immer
im gleichen Rhythmus bleiben, es können sich ruhig Verschiebungen und Ungenauigkeiten bilden, aber bitte nicht mit Absicht! Man kann das
auch aufnehmen und die Toiletten oder die Garderobe damit beschallen, egal… Wenn man es aufführt, wären große Politikerköpfe aus Pappmaché,
wie sie bei Demos zum G8-Gipfel getragen werden, ganz lustig. Danke, ihr Poster alle, o kommet zu mir! In der Krippe ist noch viel Platz.
Jelinek arbeitete an ihrem 2008 für die
Münchner Kammerspiele
verfassten Text
Uns bleibt nur der Strafrahmen
weiter, der ursprüngliche Text fungiert in Die Kontrakte des Kaufmanns als Prolog. Ausgangspunkt des Stücks sind die Skandale um die ehemalige österreichische Gewerkschaftsbank BAWAG und die Meinl-Bank, die sich im Vorfeld der internationalen Finanz- und
Wirtschaftskrise
im Jahr 2008 ereigneten.
Das Stück besteht aus zwei verschieden langen Teilen, dem kurzen PROLOG und dem langen Abschnitt DAS EIGENTLICHE . Als Schauplatz wird eine „ Außerordentliche Hauptversammlung “ von Aktionärsvertretern genannt. Im Abschnitt DAS EIGENTLICHE folgt auf den Chor der Kleinanleger der Chor der Greise . Weitere Passagen sind mit Engel der Gerechtigkeit: , Engel und Stein: , Engel: , Zweiter Engel der Gerechtigkeit: , Dritter Engel der Gerechtigkeit: , Der erste Engel der Gerechtigkeit: und Mehrere Engel der Ungerechtigkeit: , Engel der Gerechtigkeit, ich weiß aber nicht mehr, welcher: sowie Noch mehr Engel, die bislang nicht aufgetreten sind, oder es tritt jemand ganz anderer auf, mir doch egal: überschrieben. Im Mittelpunkt der chorischen Sequenzen, die auf die Chöre der griechischen Tragödie (
Antike
) verweisen, und der Textpassagen der Engel steht eine kritische Auseinandersetzung mit dem
Kapitalismus
und der Sprache der Ökonomie.
Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:
Danke,
Helene Schuberth
, danke, Europa, äh,
Euripides
(‚Herakles‘, nach der Übersetzung von J. J. Donner).
Am 16.3.2009 wurde das Stück in Form einer Urlesung im
Wiener Akademietheater
(Leitung:
Nicolas Stemann
) erstmals präsentiert. Elemente dieses Abends wurden für die Uraufführung am
Kölner Schauspielhaus
übernommen.
Jelinek verfasste nach der Uraufführung auf
Stemanns
Anregung einen Epilog mit dem Titel Schlechte Nachrede , der in den weiteren Aufführungen integriert wurde. Die Inszenierung wurde laufend weiterentwickelt. Als Quellen zum Epilog gibt Jelinek Folgendes an:
„Ha! Hab ichs doch gewußt, daß ich etwas finden werde, das ich schänden und entwerten kann wie Geld:
René Girard
: ‚Das Heilige und die Gewalt‘
Dazu etwas Antikes: Die Elektra des
Euripides
Und für die Moderne: Prof.
Max Otte
, 44“
Nach dem Epilog verfasste Jelinek einen weiteren Text in zwei Teilen mit dem Titel Aber sicher! (Eine Fortsetzung) . Dessen Abschnitt 2. Akt, kann man auch weglassen, wie alles, damit nichts bleibt. (für Rosa Luxemburg) beginnt mit einer Beschreibung des Leichnams
Rosa Luxemburgs
. Der Text wurde von Jelinek auf Video eingelesen.
Stemann
integrierte die Videoaufnahme anlässlich der Übernahme der Uraufführung an das
Thalia Theater Hamburg
(Premiere: 2.10.2009) in die Inszenierung. Jelinek entfernte diese Fassung von ihrer Website und veröffentlichte in der Zeitschrift
manuskripte
und auf ihrer Website eine zweite Fassung des Textes ohne den 2. Akt. Über ihre Quellen hat Jelinek diesem Text Folgendes nachgestellt:
„DANKE sehr an: ‚
Der Spiegel
‘ (dramatisiere auf Wunsch jeden Leitartikel!).
Sophokles
: ‚König Ödipus‘, übersetzt von
Hugo v. Hofmannsthal
“
Die zweite Fassung hat Jelinek ebenfalls von ihrer Website genommen und durch eine überarbeitete Fassung ersetzt, die erstmals am 14.3.2013 am
Theater Bremen
in der
Inszenierung von Alexander Riemenschneider
aufgeführt wurde.
Für das Gastspiel der Uraufführungsproduktion beim Berliner Theatertreffen 2010 verfasste Jelinek einen weiteren Zusatztext mit dem Titel
Im Wettbewerb
, der von den SchauspielerInnen gelesen wurde. Über ihre Quellen hat Jelinek diesem Text Folgendes nachgestellt:
Für ein Gastspiel der Uraufführungsinszenierung am Onassis Cultural Center in Athen am 27.3.2014 verfasste Jelinek einen weiteren Zusatztext mit dem Titel
Warnung an Griechenland vor der Freiheit
. Über ihre Quellen hat Jelinek diesem Text Folgendes nachgestellt:
„Vor den Vorhang, Mr.
Platon
, hier ist er, hier steht es, Politeia, das steht drauf, bittesehr, Sie haben das gesagt, nicht ich, nein, Sie haben es mir vorgesagt, doch ich konnte es nicht richtig nachsagen. Bitte entschuldigen Sie!“
Für einen Workshop von
Nicolas Stemann
zu Die Kontrakte des Kaufmanns , der von 23.-29.9.2014 im Theatre of Europe in London stattfand, verfasste Jelinek den Zusatztext
England. Ein Zusatz. Und ich hab doch immer nur was auszusetzen!
. Die ersten vier Absätze des Textes wurden beim Workshop in
englischer Übersetzung
verwendet. Dem Text ist folgende Anweisung vorangestellt: „ (singen – jeder kennt es in GB – „Abide with me“) “. Der Text rekurriert u.a. auf die Industriegegend Tyneside im Norden Großbritanniens, die von Arbeitslosigkeit (
Arbeiterin
,
Arbeiter
) geprägt ist. Weiters geht es darin um Produktions- und Konsumationsverhältnisse in Zeiten der Wirtschaftskrise und damit verbundenen Geschlechterasymmetrien (
Frau
).