Der Tod und das Mädchen I-V

Prinzessinnendramen

Programmheft zur Uraufführung am Deutschen Theater Berlin, 2002

Der Tod und das Mädchen I (Schneewittchen)

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Der Tod und das Mädchen II (Dornröschen)

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Der Tod und das Mädchen III (Rosamunde)

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Der Tod und das Mädchen IV (Jackie)

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Der Tod und das Mädchen V (Die Wand)

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Aufführungen

I-III

-

IV

-

Weitere Inszenierungen einzelner Teile in anderem Kontext

 

CDs

 

Unter dem Titel

Der Tod und das Mäd­chen I-V. Prin­zes­sin­nen­dra­men

fasste Jelinek fünf Theatertexte zusammen, von denen die ersten drei bereits in anderen Zusammenhängen erschienen waren:

Der Tod und das Mäd­chen I (Schnee­witt­chen)

im Rahmen der Trilogie

Macht nichts

Theatertexte

,

Der Tod und das Mäd­chen II (Dorn­rös­chen)

im Band

Das Le­be­wohl

Theatertexte

und

Der Tod und das Mäd­chen III (Ro­sa­mun­de)

als Zwischenstück des Bandes

In den Al­pen

Theatertexte

.

Der Tod und das Mäd­chen II (Dorn­rös­chen)

verfasste Jelinek ursprünglich als Libretto für das Ballett

Der Tod und das Mäd­chen II (2000)

Libretti

von

Bernd Ro­ger Bie­nert

.

Der Tod und das Mäd­chen III (Ro­sa­mun­de)

ist die erweiterte Fassung eines Auftragswerks für ein Konzert des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin. Jelinek wurde beauftragt, für dieses Konzert – unter Verwendung des Originalschauspiels – Zwischentexte für die Aufführung von Franz Schuberts Schauspielmusik zu Rosamunde. Fürstin von Zypern (1823, Text: Helmina von Chézy) zu schreiben.

Der Tod und das Mäd­chen IV (Ja­ckie)

verfasste Jelinek für die Schauspielerin

Eli­sa­beth Tris­sen­aar

für

Hans Neu­en­fels

s’ Inszenierung am Deutschen Theater Berlin, in deren Rahmen auch

Der Tod und das Mäd­chen V (Die Wand)

uraufgeführt wurde.

Der Titel Der Tod und das Mädchen bezieht sich auf das gleichnamige Lied (1817) von

Franz Schu­bert

(

Mu­sik

). Die ersten drei Texte sind jeweils Gespräche zwischen einer

Frau

und einem

Mann

.

Der Tod und das Mäd­chen I (Schnee­witt­chen)

ist als Gespräch zwischen Schneewittchen und dem Jäger konzipiert. Gegenstand des Gesprächs sind die Begriffe Wahrheit und Schönheit. Im Gegensatz zum

Mär­chen

der Brüder Grimm wird Schneewittchen am Ende vom Jäger erschossen. Im Text gib es zahlreiche intertextuelle Bezüge zu Schriften Martin Heideggers (

Phi­lo­so­phie

).

Der Tod und das Mäd­chen II (Dorn­rös­chen)

ist ein Gespräch zwischen Prinzessin und Prinz. Am Ende wird auch auf die aktuelle politische Situation (

Po­li­tik

) in

Ös­ter­reich

(Regierungsbildung zwischen ÖVP und FPÖ (

Frei­heit­li­che Par­tei Ös­ter­reichs

)) angespielt. Neben intertextuellen Bezügen zu Heideggers Sein und Zeit (1927) werden auch Passagen aus Schriften Hegels verarbeitet. Den Dornröschen-Stoff hatte Jelinek zuvor bereits in ihrem Kurzprosatext

rosie die weisse hölle

(1970)

Kurzprosa

gestaltet.

Nach einer ersten Textsequenz in Ich-Form und einem Einschub in Form der Romanze aus Chézys Libretto und The real thing folgt in

Der Tod und das Mäd­chen III (Ro­sa­mun­de)

ein Gespräch zwischen Rosamunde und Fulvio.

In

Der Tod und das Mäd­chen IV (Ja­ckie)

spricht Jackie, mit der sich Jelinek auf Jacqueline Kennedy bezieht. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes vorangestellt: „Mitarbeiterin und Mitarbeiter: Randy Taraborelli, Elisabeth Veith, Roland Barthes u. a.“. In der Regiebemerkung werden Angaben zur Kleidung Jackies und den sie umgebenden Toten (John F. Kennedy, Aristoteles Onassis, Kinder etc.) gemacht. Der Text thematisiert die Ikonisierung ihrer Person und

Mo­de

. In diesem Zusammenhang wurden Textsequenzen aus Roland Barthes’ Abhandlung Die Sprache der Mode (1963) verarbeitet.

Der Tod und das Mäd­chen V (Die Wand)

ist in zwei Akte gegliedert, als Figuren sind Sylvia und Ingeborg angegeben. Jelinek bezieht sich in diesem Theatertext auf Sylvia Plath, Marlen Haushofer und Ingeborg Bachmann. Der szenische Vorgang wird in der Regieanweisung als rituelle Schlachtung und Kastration eines Widders durch die Frauen beschrieben, dessen Blut zu einer Blutsuppe verarbeitet und anschließend verzehrt wird. Neben Marlen Haushofers Roman Die Wand (1963) gibt es auch intertextuelle Bezüge zu Ingeborg Bachmanns Der Fall Franza (1966) und

Ma­li­na

(1971). Am Ende wird eine längere Passage aus der Theogonie des Hesiod zitiert, in der die Kastration des Uranos durch Kronos geschildert wird.

Gemeinsam ist allen fünf Texten der Bezug zur Musik

Schu­berts

, die Thematisierung von patriarchalen Machtstrukturen (

Pa­tri­ar­chat

), der Rolle der Frau, die – als „Prinzessin“ – nur über den Mann definiert wird und nicht Subjektstatus erhalten kann, sowie des Todes (

Tod

).

Dem Begriff der Prinzessinnendramen setzt Jelinek in ihrem Theatertext

Ul­ri­ke Ma­ria Stuart(2007)

Theatertexte

den des Königinnendramas entgegen.

Im Vorfeld der Premiere am

Teatr Pol­ski Wro­cław

(21.11.2015) gab es Informationen, dass die Regisseurin

Ewe­li­na Mar­ci­ni­ak

Porno-DarstellerInnen engagieren würde. Polens neue national-konservative Regierung unter Beata Szydło, insbesondere Kulturminister Piotr Gliński versuchte die Premiere zu verbieten. Es gab Proteste gegen die Aufführung. Rafał Franciszek Dutkiewicz, Regierungschef der Region Niederschlesien, sprach sich gegen Zensur aus. Karolina Lewicka, Fernsehjournalistin des Senders TVP, wurde suspendiert, nachdem sie Gliński kritisch interviewt hatte.

 

 

Matthias Dreyer: Ihr neuester Theatertext heißt „Prinzessinnendramen“. Warum enden Prinzessinnen im Drama?Elfriede Jelinek: „Prinzessinnendramen“ ist natürlich ironisch gemeint, denn die Frau ist kein großes dramatisches Subjekt (obwohl viele Dramen dem zu widersprechen scheinen), und daher kann sie auch nicht Protagonistin eines Dramas sein. Die Frau konstituiert sich, als die Unterlegene, nur in der Spiegelung durch den Mann, der sie immer nur sich selbst ins Gesicht wirft, und durch die Bilder, denn nur ihr Aussehen und ihre Jugend können ihr Wert verleihen, nie das Denken. Der Mann kann sich durch intellektuelle oder ökonomische Leistung einen höheren Wert verleihen in einer Weise, die der Frau nicht möglich ist. Daher ist es auch ironisch zu verstehen, wenn ich Prinzessinnen zu Trägerinnen großer Dramatik mache, sie sind eben nur Aus-Trägerinnen von Beschlüssen, die andere für sie fassen (sogar Jackie O.), Wasserträgerinnen. Werbeträgerinnen (für Junggesellenmaschinen wie Autos, etc.). Warum tauchen die alten Märchenfiguren in ihren Stücken wieder auf?Ich brauche für meine Texte immer Anstöße, die mich vorantreiben, oder gegen die ich vorgehen kann. Die Textmuster der alten Märchen mit ihren sadomasochistischen Verstrickungen zwischen Prinzen, Prinzessinnen, Tieren, Mägden und Knechten, etc. bieten Anlass zu Paraphrasen oder Entschlüsselungstheorien. Codiert befinden sich in ihnen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die von mir aus einem Hintergrund aus scheinbarer Unschuldigkeit und deren Mythen herausgeschält werden, zumindest versuche ich das (in anderen Texten wieder versuche ich dasselbe mit Kriminalfällen oder Katastrophen, in denen ich gesellschaftliche Mechanismen gebündelt sehe, und diese Bündel reiße ich auseinander wie Heugarben). Definiert sich Weiblichkeit über das Märchen?So kann man das nicht sagen. Weiblichkeit definiert sich über das Andere, an dem es gemessen wird, sie definiert sich als Objekt gegen ein Subjekt, von dem sie, die Weiblichkeit, konstituiert wird. Das Märchen ist ja nur die Ebene des Symbolischen (wie die Werke der Klassiker), auf der das Schlachtfeld hergerichtet und bestückt wird. Nur stehen Gewinner und Verlierer von vorneherein fest: Außer Haus gewinnt der Mann, im Haus, wo sie keinen öffentlichen, sondern nur privaten Schaden anrichten und harmlos gemacht werden kann, die Frau. Meine Prinzessinnen sind natürlich Scheiternde, und es steht ihnen, selbst wenn sie Macht zu haben scheinen, keine Form von Grandiosität zu. Es hilft natürlich sehr, wenn sie keinen Körper haben (die Ikone Jackie O. im Gegensatz zum „Sexsymbol“ Marilyn Monroe, das seinen Körper zum Markt tragen musste, während Jackie das nur mit ihren Bildern tun musste).

aus: Matthias Dreyer: Man muss sogar immer scheitern, wenn man denkt. In: Programmheft des Deutschen Schauspielhauses Hamburg zu Elfriede Jelineks Prinzessinnendramen. Der Tod und das Mädchen I-III, 2002.

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