Stecken, Stab und Stangl
Eine Handarbeit
Uraufführung am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg, 1996. Foto: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg / Matthias Horn
Uraufführung am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg, 1996. Foto: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg / Matthias Horn
Jelinek, Elfriede
:
Stecken, Stab und Stangl. In: manuskripte 129 (
1995
), S. 6-26 (= 1)
.
Jelinek, Elfriede
:
Stecken, Stab und Stangl. In: Programmheft des Deutschen Schauspielhauses Hamburg zu Elfriede Jelineks
1996
(= 2)
.
Jelinek, Elfriede
:
Stecken, Stab und Stangl. In: Theater der Zeit 3/
1996
, S. 91-105 (= 2)
.
Jelinek, Elfriede
:
Stecken, Stab und Stangl. In: SB Neue Theaterstücke.
1997
, S. 15-68 (= 2)
DN
.
Jelinek, Elfriede
:
Stecken, Stab und Stangl. In: Programmheft des Wiener Burgtheaters (Kasino am Schwarzenbergplatz) zu Elfriede Jelineks
1997
(= 2)
.
Jelinek, Elfriede
:
Stecken, Stab und Stangl. In: Spectaculum 63 (
1997
), S. 51-94 (= 2)
.
Jelinek, Elfriede
:
Metzger-Land. Die neue böse Österreich-Diagnose der Autorin.
Teilabdruck
In: News,
16.11.1995
(= 2)
(Vorabdruck)
.
Jelinek, Elfriede
:
„Ihre Mörder müssen in Ihrem Blut gewatet sein“.
Teilabdruck
In: News,
4.4.1996
(= 2)
(Vorabdruck)
.
Jelinek, Elfriede
:
Stecken, Stab und Stangl.
Teilabdruck
In:
Janke, Pia
:
Die Nestbeschmutzerin. Jelinek & Österreich.
Salzburg
:
Jung und Jung
2002
, S. 105 (= 2)
.
UA | 12.4.1996
, I:
Thirza Bruncken
Erstsendung des TV-Mitschnitts:
8.11.1996
, I:
Claudia Bosse
8.2.1997
, I:
Kazuko Watanabe
Online-Stream:
20.9.1997
, I:
George Tabori
Jelineks Essay
Der Lichtpunkt. Eine Hommage (2001)
11.5.2000
, I:
Angelika Messner
2.12.2000
, I:
Christian von Treskow
16.11.2005
Theater im Nestroyhof
, Wien
, I:
Tina Leisch
18.8.2009
, I:
Maik Priebe
21.4.2010
Theater Trafó
, Budapest
, I:
Róbert Pejó
, Ü:
Zoltán Halasi
27.2.2018
Theater der Keller
, Köln
, I:
Nada Kokotovic
(Titel: Zigeunerschnitzel; gemeinsam mit Stefan Horvaths Katzenstreu)
13.5.2018
, I:
Ilja Moschickij
, Ü:
Vladimir Sedel’nik
1996 wurde Jelinek für Stecken, Stab und Stangl von der Zeitschrift Theater heute zur „Dramatikerin des Jahres“ gewählt.
Jelineks Essay
Die Schweigenden (1995)
Jelineks Essay
Das Phantom (1995)
Hans Gerd Krogmanns Hörspielbearbeitung
Stecken! Stab! Und Stangl! (1996)
Projekt des theatercombinat
Jelinek „Sinn Egal. Körper zwecklos. 5-7“ (1997)
Otília Cseicsners ungarische Hörspielbearbeitung
Kézimunka (2011)
Elfriede Jelinek: [...] Für mich ist die Ermordung der Roma das katastrophalste
Ereignis der Zweiten Republik. Ein Meuchelmord an vier unschuldigen und
unbeteiligten Männern, die ohnehin schon ein unglaubliches Maß an Verfolgungen in
diesem Land haben hinnehmen müssen. [...] Ich hatte den Wunsch, einer so
unterdrückten Minderheit, die unter unglaublichen Umständen lebt, deren Kinder alle
automatisch in Sonderschulen abgeschoben werden, die also gar keine Möglichkeit
zur Bildung bekommen, diesen Menschen das Äußerste, was ich mir in meiner
Kunst erarbeitet habe, zur Verfügung zu stellen: Für die, die sprachlos sind oder
deren Sprache wir nicht verstehen, zu sprechen, das war mir sehr wichtig. [...] Stefanie Carp:In diesem Text sind es die kollektiven Sprachen der Täter oder besser gesagt
der indirekten Mittäter, der Medien, die das Ereignis verharmlosen, und des alltäglichen
Geschwätzes, und die werden dann wieder gebrochen durch zitierte literarische Sprache. In diesem Fall sind es Fetzen aus Celan-Gedichten. Ich wollte hier mit Celan
arbeiten. Er ist auch eines der Opfer, das sich dann nachträglich noch ertränkt hat, weil er
gesehen hat, daß weder ein Heidegger (der auch durch zwei oder drei kleine Zitate
in dem Text vertreten ist) noch irgend jemand sonst Einsicht zeigt und daß sich im
Grunde nichts ändert. Celan ist aus der Bukowina, die einmal zur Monarchie gehört
hat, ein ostjüdischer Autor aus diesem einstmals so reichen Kulturkreis. Was bedeutet der Titel „Stecken, Stab und Stangl“? „Stecken und Stab“ ist ja klar, aus den Psalmen Davids. „Staberl“ als Name ist einer
der Kolumnisten der Kronen-Zeitung, der an der Verschärfung des Klimas in
Österreich großen Anteil hat; an der „Verhausmeisterung“, wie die Sigrid Löffler das
einmal genannt hat: „Housemaster’s voice“ – so wie Bruno Walter den Anschluß
Nazi-Deutschlands an Österreich einmal die „Verlederhosung“ Österreichs nannte.
Damit ist gemeint: die Herrschaft des Pöbels und eigentlich auch des Ländlichen.
Denn das Haider-Phänomen läßt sich eigentlich nur durch die Herrschaft des
ländlichen Pöbels erklären, dem die stark multikulturell gemischte, schnelle,
undurchschaubare Kultur der Großstadt fremd geblieben ist. Dieses gesunde
Volksempfinden macht mir große Angst. [...] Mit „Stangl“ ist Franz Stangl gemeint, der
Kommandant von Treblinka, der auch mit Zitaten vorkommt, zum Beispiel: „An
manchen Tagen mußten wir an die 18.000 durchlaufen lassen.“ Und damit meint
er: durch das Krematorium. In dem Titel liegt schon die ganze Vieldeutigkeit der
Sprachflächen. Man kann unendlich viele Bedeutungen zu den Worten und Namen
assoziieren. Im Stück heißt jeder Mann Stab. Es sind die Masken, die in jedem von
uns stecken, wenn man nicht seine Handlungen kontrolliert und ständig überprüft
nach Fanatismus und Ausschluß des Anderen.
Eine überdimensionale Supermarkttheke in Chrom und Glas. Das meiste, was man sieht,
ist mit eiskremfarbenen Häkelüberzügen, meistens rosa, überzogen, für manche Dinge kann man vielleicht
auch Filz nehmen, jedenfalls ein weiches, stumpfes Material, das immer an Handarbeiten erinnern soll.
Im Verlauf des Textes wird an den Häkelwaren herumgebessert, geflickt etc. Die Schauspieler sollen damit,
fast unmerklich beginnend, sukzessive immer stärker beschäftigt sein. Am Ende ist eine Handarbeitslandschaft
entstanden. Auch die Schauspieler sind dann mit Hüllen überzogen. Auf einem Bildschirm oder einer Leinwand, dem einzigen Ding, das nicht überzogen ist,
erscheint in Leuchtschrift: Achtung, EU, die Österreichen kommen! Nach einiger Zeit ändert sich das Schild in:
Achtung, EU, die Österreichsten kommen! Im Publikum, in dem, verteilt, ein paar Leute Platz genommen haben,
Unruhe, weil diese Leute leise auf ihre Sitznachbarn einzureden beginnen, die Unruhe soll sich steigern.
Es ist auch möglich, schon vor Beginn von jemandem am Arm ergriffen zu werden, dem der Sachverhalt,
von dem die Rede sein wird, kurz geschildert wird. Das jeweilige Aufführungs-Team sollte an Orten,
wo man von den Roma-Morden im Burgenland wahrscheinlich nicht so viel weiß, sich mit den die Morde betreffenden
Fakten vertraut machen und die Ergebnisse seiner Recherchen, die Anschläge der sogenannten Bajuwarischen
Befreiungsarmee betreffend, dem Publikum mitteilen, in welcher Form auch immer. Kleiner Dia-Vortrag,
Fotos dem Sitznachbarn zeigen, etc. Die oben genannte Informierung des Publikums ist nur eine der
vielen möglichen.
Anlass für Stecken, Stab und Stangl war der Mord an den vier Roma
Erwin Horvath
,
Karl Horvath
,
Peter Sarközi
und
Josef Simon
in Oberwart (Burgenland) am 4.2.1995 und die verharmlosende Berichterstattung in österreichischen
Medien
(insbesondere in der
Kronen Zeitung
). Als die Roma versuchten, eine Tafel mit der Aufschrift „ROMA zurück nach INDIEN!“ zu entfernen, wurden sie durch eine Rohrbombe getötet. Der Anschlag stand in einer Reihe von Rohr- und Briefbombenattentaten, zu denen es Bekennerschreiben der faschistischen „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ gab. Im März 1999 wurde
Franz Fuchs
als Einzeltäter zu lebenslanger Haft verurteilt. Das dem Theatertext vorangestellte Zitat ist ein Ausspruch von
Jörg Haider
(
Haider, Jörg
) über die ermordeten Roma.
Der Text weist keine Akt- und Szenengliederung auf und ist auf SprecherInnen aufgeteilt.
Der Titel spielt an auf den Psalm 23 aus dem Alten Testament , auf das Pseudonym „Staberl“ des Kronen Zeitung- Kolumnisten
Richard Nimmerrichter
und auf
Franz Stangl
, den Kommandanten der Konzentrationslager Treblinka und Sobibor.
Schauplatz ist eine „überdimensionale Supermarkttheke in Chrom und Glas“, die mit „eiskremfarbenen Häkelüberzügen“ bedeckt ist. Mit Ausnahme von Margit S. und dem Fleischer werden nur allgemeine Personenangaben gemacht: Einer, egal wer; Ein Anderer; Ein Mann; Eine Frau etc. Der Name Margit S. ist der am 14.2.1995 in der Kronen Zeitung erschienenen Kolumne Menschlich betrachtet von
Reinhard Hübl
entnommen. In der Regieanweisung wird angemerkt, dass die SchauspielerInnen das ganze Stück über mit Häkelarbeiten beschäftigt sein sollen, bis am Ende „eine Handarbeitslandschaft“ entstanden ist und alle „mit Hüllen überzogen“ sind. Der Untertitel Eine Handarbeit verbindet das Bomben-Bauen und das Häkeln. Eine weitere szenische Ebene bildet eine Leinwand, auf der Sätze über Österreich und die EU (
Europäische Union
) eingeblendet werden sollen.
In der Verschränkung des Holocaust (
Judenvernichtung
) mit den Roma-Morden sowie der massenmedialen Berichterstattung, den politischen Reaktionen (
Freiheitliche Partei Österreichs
) und dem Alltagsgeschwätz werden im Stück die Kontinuitäten von
Antisemitismus
,
Rassismus
,
Rechtsradikalismus
,
Gewalt
und
Fremdenfeindlichkeit
sowie die unzureichende
Vergangenheitsbewältigung
(
Nationalsozialismus
) in
Österreich
thematisiert.
Neben Kolumnen von Staberl aus der Kronen Zeitung (u.a. der Artikel Methoden eines Massenmords vom 10.5.1992), in denen der Holocaust relativiert wird, sind auch Texte von
Martin Heidegger
und – als eine Art Gegenstimme – Gedichte von
Paul Celan
im Stück verarbeitet. Über die verwendeten Intertexte hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:
„Die Autorin hat wieder einmal Zitate hereingelegt. Sagt aber nicht welche. Raten sie! Keine Preise zu gewinnen.“