Stecken, Stab und Stangl

Eine Handarbeit

Uraufführung am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg, 1996. Foto: Deutsches SchauSpielHaus Hamburg / Matthias Horn

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Abbildung der Seite 33 des Typoskripts

Würdigung

1996 wurde Jelinek für Stecken, Stab und Stangl von der Zeitschrift Theater heute zur „Dramatikerin des Jahres“ gewählt.

 

Anlass für Stecken, Stab und Stangl war der Mord an den vier Roma

Er­win Hor­vath

,

Karl Hor­vath

,

Pe­ter Sar­kö­zi

und

Jo­sef Si­mon

in Oberwart (Burgenland) am 4.2.1995 und die verharmlosende Berichterstattung in österreichischen

Me­di­en

(insbesondere in der

Kro­nen Zei­tung

). Als die Roma versuchten, eine Tafel mit der Aufschrift „ROMA zurück nach INDIEN!“ zu entfernen, wurden sie durch eine Rohrbombe getötet. Der Anschlag stand in einer Reihe von Rohr- und Briefbombenattentaten, zu denen es Bekennerschreiben der faschistischen „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ gab. Im März 1999 wurde

Franz Fuchs

als Einzeltäter zu lebenslanger Haft verurteilt. Das dem Theatertext vorangestellte Zitat ist ein Ausspruch von

Jörg Hai­der

(

Hai­der, Jörg

) über die ermordeten Roma.

Der Text weist keine Akt- und Szenengliederung auf und ist auf SprecherInnen aufgeteilt.

Der Titel spielt an auf den Psalm 23 aus dem Alten Testament , auf das Pseudonym „Staberl“ des Kronen Zeitung- Kolumnisten

Ri­chard Nim­mer­rich­ter

und auf

Franz Stangl

, den Kommandanten der Konzentrationslager Treblinka und Sobibor.

Schauplatz ist eine „überdimensionale Supermarkttheke in Chrom und Glas“, die mit „eiskremfarbenen Häkelüberzügen“ bedeckt ist. Mit Ausnahme von Margit S. und dem Fleischer werden nur allgemeine Personenangaben gemacht: Einer, egal wer; Ein Anderer; Ein Mann; Eine Frau etc. Der Name Margit S. ist der am 14.2.1995 in der Kronen Zeitung erschienenen Kolumne Menschlich betrachtet von

Rein­hard Hübl

entnommen. In der Regieanweisung wird angemerkt, dass die SchauspielerInnen das ganze Stück über mit Häkelarbeiten beschäftigt sein sollen, bis am Ende „eine Handarbeitslandschaft“ entstanden ist und alle „mit Hüllen überzogen“ sind. Der Untertitel Eine Handarbeit verbindet das Bomben-Bauen und das Häkeln. Eine weitere szenische Ebene bildet eine Leinwand, auf der Sätze über Österreich und die EU (

Eu­ro­päi­sche Uni­on

) eingeblendet werden sollen.

In der Verschränkung des Holocaust (

Ju­den­ver­nich­tung

) mit den Roma-Morden sowie der massenmedialen Berichterstattung, den politischen Reaktionen (

Frei­heit­li­che Par­tei Ös­ter­reichs

) und dem Alltagsgeschwätz werden im Stück die Kontinuitäten von

An­ti­se­mi­tis­mus

,

Ras­sis­mus

,

Rechts­ra­di­ka­lis­mus

,

Ge­walt

und

Frem­den­feind­lich­keit

sowie die unzureichende

Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung

(

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

) in

Ös­ter­reich

thematisiert.

Neben Kolumnen von Staberl aus der Kronen Zeitung (u.a. der Artikel Methoden eines Massenmords vom 10.5.1992), in denen der Holocaust relativiert wird, sind auch Texte von

Mar­tin Heid­eg­ger

und – als eine Art Gegenstimme – Gedichte von

Paul Ce­lan

im Stück verarbeitet. Über die verwendeten Intertexte hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Die Autorin hat wieder einmal Zitate hereingelegt. Sagt aber nicht welche. Raten sie! Keine Preise zu gewinnen.“

 

 

Elfriede Jelinek: [...] Für mich ist die Ermordung der Roma das katastrophalste Ereignis der Zweiten Republik. Ein Meuchelmord an vier unschuldigen und unbeteiligten Männern, die ohnehin schon ein unglaubliches Maß an Verfolgungen in diesem Land haben hinnehmen müssen. [...] Ich hatte den Wunsch, einer so unterdrückten Minderheit, die unter unglaublichen Umständen lebt, deren Kinder alle automatisch in Sonderschulen abgeschoben werden, die also gar keine Möglichkeit zur Bildung bekommen, diesen Menschen das Äußerste, was ich mir in meiner Kunst erarbeitet habe, zur Verfügung zu stellen: Für die, die sprachlos sind oder deren Sprache wir nicht verstehen, zu sprechen, das war mir sehr wichtig. [...]

Stefanie Carp:In diesem Text sind es die kollektiven Sprachen der Täter oder besser gesagt der indirekten Mittäter, der Medien, die das Ereignis verharmlosen, und des alltäglichen Geschwätzes, und die werden dann wieder gebrochen durch zitierte literarische Sprache.

In diesem Fall sind es Fetzen aus Celan-Gedichten. Ich wollte hier mit Celan arbeiten. Er ist auch eines der Opfer, das sich dann nachträglich noch ertränkt hat, weil er gesehen hat, daß weder ein Heidegger (der auch durch zwei oder drei kleine Zitate in dem Text vertreten ist) noch irgend jemand sonst Einsicht zeigt und daß sich im Grunde nichts ändert. Celan ist aus der Bukowina, die einmal zur Monarchie gehört hat, ein ostjüdischer Autor aus diesem einstmals so reichen Kulturkreis.

Was bedeutet der Titel „Stecken, Stab und Stangl“?

„Stecken und Stab“ ist ja klar, aus den Psalmen Davids. „Staberl“ als Name ist einer der Kolumnisten der Kronen-Zeitung, der an der Verschärfung des Klimas in Österreich großen Anteil hat; an der „Verhausmeisterung“, wie die Sigrid Löffler das einmal genannt hat: „Housemaster’s voice“ – so wie Bruno Walter den Anschluß Nazi-Deutschlands an Österreich einmal die „Verlederhosung“ Österreichs nannte. Damit ist gemeint: die Herrschaft des Pöbels und eigentlich auch des Ländlichen. Denn das Haider-Phänomen läßt sich eigentlich nur durch die Herrschaft des ländlichen Pöbels erklären, dem die stark multikulturell gemischte, schnelle, undurchschaubare Kultur der Großstadt fremd geblieben ist. Dieses gesunde Volksempfinden macht mir große Angst. [...] Mit „Stangl“ ist Franz Stangl gemeint, der Kommandant von Treblinka, der auch mit Zitaten vorkommt, zum Beispiel: „An manchen Tagen mußten wir an die 18.000 durchlaufen lassen.“ Und damit meint er: durch das Krematorium. In dem Titel liegt schon die ganze Vieldeutigkeit der Sprachflächen. Man kann unendlich viele Bedeutungen zu den Worten und Namen assoziieren. Im Stück heißt jeder Mann Stab. Es sind die Masken, die in jedem von uns stecken, wenn man nicht seine Handlungen kontrolliert und ständig überprüft nach Fanatismus und Ausschluß des Anderen.

aus: Stefanie Carp: „Ich bin im Grunde ständig tobsüchtig über die Verharmlosung“. In: Schauspiel-Magazin 11/1996.

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