Macht nichts

Eine kleine Trilogie des Todes

Uraufführung am Schauspielhaus Zürich, 2001. Stadtarchiv Zürich, VII.200. Archiv Schauspielhaus Zürich AG; Foto: Leonard Zubler

Erlkönigin

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Der Tod und das Mädchen I (Schneewittchen)

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Der Wanderer

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Aufführungen

 

Jelinek erhielt für

Macht nichts

in der Inszenierung von

Jos­si Wie­ler

2002 den

Mül­hei­mer Dra­ma­ti­ker­preis

. Die Inszenierung wurde daraufhin zu den

Salz­bur­ger Fest­spie­len

2003 eingeladen. Jelinek verfasste zu diesem Anlass die Dankesrede

Wie man die Welt an­schaut (2002)

.

 

Die Trilogie

Macht nichts

besteht aus den Theatertexten

Erl­kö­ni­gin

,

Der Tod und das Mäd­chen I

und

Der Wan­de­rer

. Der Tod und das Mädchen bildet zugleich den 1. Teil von Jelineks

Prin­zes­sin­nen­dra­men. Der Tod und das Mäd­chen I-V

.

Macht nichts

war ein Auftragswerk des

Ber­li­ner En­sem­bles

in der Intendanz

Claus Pey­manns

, wobei Jelinek Der Tod und das Mädchen bereits für den Abschiedsband

Pey­manns

am

Wie­ner Burg­thea­ter

verfasst hatte. Die Uraufführung am

Ber­li­ner En­sem­ble

war für den 27.1.2001 in der Inszenierung von

Ei­nar Schle­ef

, der selbst den Wanderer spielen sollte, geplant, musste jedoch wegen

Schle­efs

Erkrankung abgesagt werden. Nach

Schle­efs

Tod wurden im

Ber­li­ner En­sem­ble

am 11.11.2001 in einer Gedenkmatinee mit dem Titel Fragment Schleef. Spuren einer Inszenierung Probenmitschnitte der geplanten Inszenierung auf Video gezeigt und Teile präsentiert.

Die Titel der drei Teile von

Macht nichts

verweisen auf Lieder

Franz Schu­berts

(

Mu­sik

).

Erl­kö­ni­gin

ist eine Art Epilog zu Jelineks Theatertext

Burg­thea­ter (1985)

. Wieder geht es um eine an der NS-Macht partizipierende

Künst­le­rin

. In der Regieanweisung ist von einer verstorbenen Burgschauspielerin die Rede, die in ihrem Sarg dreimal um das Theater getragen wird und Fleischstücke aus ihrem Körper ins Publikum wirft. Sie spricht über den Tod und ihre Karriere als Schauspielerin im

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

und nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Der Tod und das Mädchen bezieht sich auf das

Mär­chen

Schneewittchen der Brüder Grimm und ist als Wechselrede zwischen Schneewittchen und dem Jäger konzipiert. Gegenstand des Gesprächs sind die Begriffe Wahrheit und Schönheit. Im Gegensatz zum Märchen wird Schneewittchen am Ende vom Jäger erschossen.

Wie

Erl­kö­ni­gin

ist auch

Der Wan­de­rer

, der dritte Teil der Trilogie, in Ich-Form verfasst. Beim Wanderer handelt es sich um einen

Va­ter

, der aufgrund seines Wahnsinns (

Wahn­sinn

) von seiner Frau und seiner Tochter (

Fa­mi­lie

) verstoßen und in eine Anstalt gebracht wurde. Im Nachwort beschreibt Jelinek den Wanderer als Opfer, der der Täterfigur in

Erl­kö­ni­gin

gegenübergestellt wird. Gemeinsam ist den drei Texten das Motiv des Todes (

Tod

).

Neben den von

Schu­bert

vertonten Gedichten von

Goe­the

,

Clau­di­us

und

Schmidt

Erlkönig (1782), Der Tod und das Mädchen (1775) und Der Wanderer (1821) – gibt es auch intertextuelle Bezüge zu Schriften

Mar­tin Heid­eg­gers

(

Phi­lo­so­phie

) und

Fried­rich Nietz­sches

.

Das Motiv des Wanderers greift Jelinek erneut in ihrem Theatertext

Win­ter­rei­se (2011)

auf, in dem es ebenfalls eine Vaterfigur gibt.

 

 

Diese Texte sind für das Theater gedacht, aber nicht für eine Theateraufführung. Die Personen führen sich schon selber zur Genüge auf. Die Titel der drei Teile: Erlkönigin, Der Tod und das Mädchen, Der Wanderer sind Schubertliedern entnommen, Goethes Erlkönig allerdings hat das Geschlecht gewechselt. Er ist, im ersten Teil, eine berühmte, natürlich tote, Schauspielerin, die, einer alten Sitte entsprechend, dreimal um das Burgtheater herum getragen wird. Sie spricht sozusagen den Epilog zu meinem Theaterstück „Burgtheater“, dessen Hauptfigur sie ist, und zwar weil sie eben nicht totzukriegen ist und daher einfach immer weiterredet. Das Seltsame wird, indem diese alte Frau spricht, immer mehr zum Nichtseltsamen, Alltäglichen, alles ist wieder völlig konkret. Der Krieg war das Ende des Unerwarteten, indem er ein Mithandeln (der Soldaten, der Mitläufer, der Propagandaindustrie, deren Vertreterin die alte Schauspielerin war) gewährte, ja verlangte. [...] Der Mittelteil: „Der Tod und das Mädchen“ ist eine Art Zwischenspiel, der Dialog eines Jägers mit Schneewittchen. Es geht um das Wahre, Gute und Schöne, auf das sich viele in der Kunst so gern berufen, um sofort in die Berufung zu gehen, falls ihnen jemand etwas anderes nachweisen könnte. Die Kampfhandlungen ruhen sich aus, der Friede rollt ab wie ein Operationsplan, den Schneewittchen, wie zu einer kosmetisch-kosmischen Operation, einem Lifting, das alle Falten ausradieren soll, mit schwarzen Linien ins Gesicht vor-geschrieben trägt. Nur leider hält sie ihn verkehrt herum, den Plan, aber da er ihr ins Gesicht geschrieben ist, kann sie ihn ohnedies selbst niemals sehen. Man sieht allerdings auch nicht, wer dieses Mädchen überhaupt ist, und so wird es vom Jäger totgeschossen, bevor es noch selber die lieben Zwerge treffen kann, auf die es so scharf ist, weil die selber ziemlich scharf sein sollen.

„Der Wanderer“ ist, ähnlich wie im „Sportstück“, der Schlußmonolog, ein Text, den mein Vater spricht. Im ersten Teil hat eine Täterin geredet, die eigentlich nie eine sein wollte (aber dann war es doch schön dazuzugehören!), im letzten Teil spricht jetzt ein Opfer, das auch nie eines sein wollte. Die Zeiten, da alle Opfer sein wollen, sollen ja erst noch kommen. Diese Zeiten werden jene ablösen, als niemand gern Opfer gewesen ist. Es geht in jedem Fall darum, seine Sachen in Sicherheit zu bringen. Auch ich plündere also meinen Familienfundus und schenke mir nichts.

aus: Elfriede Jelinek: Nachbemerkung. In: SB Macht Nichts 1999, S. 85-90, S. 85-87.

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